Diese
zeitgenössische Grafik erklärt, wie die Rohstoffversorgung der
Schwerindustrie im saarländisch-lothringischen Raum funktionierte.
Mehr zur Kohleförderung finden Sie auf unserer Seite über den Bergbau im Saarland.
3) L‘administration séquestre: Industrie unter Zwangsverwaltung (Text: Karl Presser)
Unmittelbar
nach Kriegsende stellte das französische Militär rund 60 saarländische
Unternehmen unter Zwangsverwaltung. Diese gehörten überwiegend zu den Bereichen
Schwerindustrie und metallverarbeitende Industrie (wie etwa Ehrhardt & Sehmer in Saarbrücken). Unter „administration séquestre“ wurden alle Banken, die Versicherungen und selbst Kinos gestellt (siehe hierzu „UT-Kino“ auf der Kino-Seite). Auch die
Saargruben AG stand bis zur Gründung der Régie des Mines de la Sarre am 1.
Januar 1948 unter Zwangsverwaltung. Diesen unschönen Begriff verwendete man
indessen selten; man ersetzte ihn lieber durch "administration séquestre“.
Die offizielle Bezeichnung der Völklinger Hütte lautete beispielsweise
„Administration Séquestre der Röchling’schen Eisen- und Stahlwerke GmbH“. Wie
man sieht, hatte die Sequesterverwaltung auf die handelsrechtliche
Unternehmensform, hier GmbH, keinerlei Auswirkungen. Bis Ende 1947 war mehr als
die Hälfte der saarländischen Arbeitnehmer, Bergleute eingeschlossen, in
Betrieben beschäftigt, die unter „administration
séquestre“ standen.
Das
Hohe Kommissariat unter Grandval hatte eine eigene Abteilung für
Sequesterverwaltungen. Deren „Directeur Général“ war Frédéric Schlachter.
Er gehörte zum Kreis der Remigranten mit französischem Pass, die jetzt im
Saarland erfolgreich agieren konnten. Er hieß eigentlich
Friedrich Wilhelm mit Vornamen, war 1892 in Kirn an der Nahe geboren und 1935
nach Frankreich emigriert. Er gab sich als wahrer Tausendsassa. Nacheinander
und teilweise gleichzeitig war er Leiter der Entnazifizierungsbehörde, Mitglied
im Direktionskomitee der Régie des Mines, Mitbegründer der Werbeagentur SARAG,
Generaldirektor der „Saarländischen Vermögensverwaltung“, Präsident des
Aufsichtsrats der Saarländischer Rundfunk GmbH und Präsident, danach
Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer zu Saarbrücken. Er galt als
„graue Eminenz“ im Saarstaat und wurde 1950 als Nachfolger in Personalunion von
Wirtschaftsminister Singer und von Finanzminister Grommes gehandelt, wie der
Spiegel am 25.5.1950 zu wissen glaubte. Da Schlachter offenbar argwöhnte, die
Saarländer könnten ihm irgendwann den „Frédéric“ übel nehmen, publizierte er
bereits ab 1948 wieder als Friedrich Schlachter und unterschrieb am liebsten
ohne Vornamen. Adolf Blind, ab 1955 Finanzminister, war über Schlachters Kompetenz in Wirtschaftsfragen „sehr im Zweifel“. Johannes Hoffmann offenbar auch, denn er berief ihn wider Erwarten im
April 1951 nicht in sein zweites Kabinett.
Die
jeweils eingesetzten Sequesterverwalter agierten in „ihren“ Unternehmen meist
als Generaldirektoren. Sie waren von sehr unterschiedlicher fachlicher und
sozialer Kompetenz. (Siehe hierzu auch den Beitrag über das Bouser Röhrenwerk).
Kurz nach der Gründung
des Saarlandes erfolgte 1948 eine Neuordnung der Sequestrierung. Die
saarländische Regierung errichtete ein Amt für Vermögensverwaltung. In seine
Zuständigkeit fielen ehemaliges Reichs-
und NSDAP-Vermögen sowie die Verantwortung für bestimmte öffentlich-rechtliche
und gemischt-wirtschaftliche Unternehmen (Staatsbeteiligungen).
Die
Anzahl der sequestrierten Unternehmen ging im Laufe der Zeit zurück. Im
Saarstatut von 1954 wurde schließlich der völlige Fortfall der
Zwangsverwaltung vorgesehen. (Die beiden Fotos oben sind aus der Zeitschrift Zeit im Bild, Nr.11, März 1947)
.
Zuvor
hatten sich die neuen Machthaber einfacher, aber erfolgreicher
bilanztechnischer
Tricks bedient: Unternehmen mit französischen Minderheitseignern
bekamen aus
Paris hohe Reparationsforderungen in Rechnung gestellt. Diese wurden
nicht
wirklich gezahlt, sondern auf der einen Seite den französischen
Minderheitseignern zugerechnet und auf der anderen Seite vom deutschen
Firmenanteil abgezogen. So entstand bilanziell die gewünschte
französische
Kapitalmehrheit am Unternehmen, und es konnte damit französisches oder
frankophiles Führunspersonal berufen werden. Eine weitere Variante war
die Übernahme durch Fusion von saarländischen mit französischen
Unternehmen. Die Dillinger Hütte wurde so 1948 zusammen mit
französischen Werken zur SOLLAC (Société Lorraine de Laminage Continu)
verschmolzen. Dieses Vorgehen war keineswegs im Sinne der mit
Amerikanern und Briten gemeinsam getroffenen
Reparationsvereinbarungen. Beschwerten sich die alten Eigentümer über
die
kreativen Methoden der Franzosen, konnten oder wollten jedoch weder
Amerikaner
noch Briten dagegen einschreiten.
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Für
die Hütten in Neunkirchen
und Völklingen schätzten die Franzosen dieses Vorgehen als chancenlos
ein. Es
gab dort so gut wie kein Fremdkapital. Die alten Eigentümer beider
Werke zeigten sich zudem hartnäckig, wenn es um die Aufgabe von
Ansprüchen ging.
Im Juni 1945 wurde Georges Thédrel als Sequesterverwalter und Generaldirektor in Völklingen
eingesetzt. Er war ein anerkannter Fachmann und hatte auf dem Gebiet des
Eisenhüttenwesens langjährige Erfahrung. Ihm war von Anfang an klar, dass er
ohne das auf den Hütten noch vorhandene Führungspersonal nur geringe Chancen
hatte, die Anlagen wieder anzufahren. Er degradierte deshalb viele
Führungskräfte, auch wenn ihnen keine Verbrechen nachzuweisen waren, zu
Arbeitern, beließ sie aber trotzdem in den alten Funktionen. 1948 wurden fast
alle von dieser Maßnahme Betroffenen amnestiert. Im gleichen Jahr wurde Thédrel
zusätzlich zum Sequesterverwalter des Neunkircher Eisenwerks bestimmt. (Foto: Archiv d.Saarstahl AG)
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Thédrels
Problem war, dass er kaum Mittel für notwendige Investitionen aus Paris
bekam. Die Gelder, die Frankreich aus dem Marshall-Plan für die
Hüttenindustrie zur
Verfügung gestellt wurden, flossen nur zu 5% ins Saarland, obwohl der
Anteil
der Saarhütten an der Gesamt-Produktionsmenge im gemeinsamen
Wirtschaftsraum
20% betrug. Das Geld wurde vorwiegend bei den lothringischen
Wettbewerbern investiert.
Unter
den gegebenen Randbedingungen ist es Thédrel umso höher anzurechnen, dass er
einerseits die volle Inbetriebnahme des Neunkircher Eisenwerks bis Ende 1950
aus Marshall-Plan-Mitteln durchsetzte. Andererseits begann er 1952 mit der
Verlegung der Saar in Völklingen und ab 1954 mit dem damit möglichen Bau eines
dringend benötigten neuen Walzwerkes.
Rechts: Mme Grandval spielte eine "zündende" Rolle beim Wiederanstich im Neunkircher Eisenwerk am 15. Juli 1950.
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(Foto: Landesarchiv Saarbrücken, Presse Foto-Actuelle)
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Erst
am 28.11.1956 wurde die Völklinger Hütte als letztes
saarländisches Unternehmen aus der Zwangsverwaltung entlassen und an die
Familie Röchling zurückgegeben. Die Feineisenstraße im Nauweiler Gewann, mit
deren Bau Thédrel begonnen hatte, nahm am 29.5.1957 den Betrieb auf.
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4) Die Montanunion
(Europäische Gemeinschaft für Kohle und
Stahl - EGKS)
In Deutschland war - ebenso wie in Frankreich und dem ihm wirtschaftlich
angeschlossenen Saarland - nach dem Krieg ein erfolgreicher Neustart der
Montanindustrie lebenswichtig. In Frankreich hatte man ein zentrales
Planungsamt für den Wiederaufbau eingerichtet, dessen Leitung Jean Monnet
inne
hatte. Dieser hatte klar erkannt, daß die französischen Erzvorkommen
Lothringens
ohne eine ausreichende Versorgung mit Kokskohle nur unzureichend
ausgebeutet werden
konnten. Geeignete Kohlevorkommen lagen allerdings außerhalb
Frankreichs, und zwar einerseits in der britischen Zone im Ruhrgebiet
und andererseits im Saarland.
Monnet entwickelte einen Plan für die übernationale wirtschaftliche Zusammenarbeit der Montanindustrie in
Europa. Dabei spielte das Saarland als Teil des französischen Wirtschaftsraums
eine besondere Rolle, denn nur unter Berücksichtigung seiner Kohlevorkommen konnte
Frankreich bei einer geplanten Zusammenarbeit eine starke Position im
Montanbereich einnehmen.
Robert Schuman als Frankreichs Außenminister betrieb die
politische Umsetzung des später nach ihm benannten “Schuman-Plans“. Jean Monnet wurde Verhandlungsführer bei der
Konferenz, die zur Gründung der ‘Europäischen Gemeinschaft für Kohle und
Stahl (EGKS)
führte. Die Verträge wurden am 18. April 1951 in Paris unterzeichnet
und traten am 23. Juli 1952 für die Dauer von 50 Jahren in Kraft.
Umgangssprachlich ist die EGKS besser als Hohe
Behörde “Montanunion“ bekannt. Monnet wurde ihr erster Präsident. Sie stellte eine
gemeinsame Kontrolle der Montanindustrie in den Gründungsstaaten Deutschland,
Frankreich, Italien und den BENELUX-Ländern unter Wegfall von Zöllen sicher.
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Verwendete
Publikationen zu den obigen Texten:
Schneider,
Dieter Marc. Saarpolitik und Exil 1933-1955. Vierteljahreshefte für
Zeitgeschichte. 1977, 4. Heft Oktober. Seite 543.
Blind, Adolf. Unruhige Jahre an der Saar 1947 bis
1957. Bd. 1. Quo
vadis, Saarland? Frankfurt am Main. 1956.
Saarländisches
Industrie- und Handelsadressbuch 1949. L. L. Kreutz Industrie-Verlag GmbH,
Saarbrücken
Müller, Heinrich in: Völklinger Nachkriegsjahre 1945-1956 Teil 2, Harrer Druck GmbH, Völklingen, Juli 1998
Der
Spiegel vom 09.03.1950: Saar Wirtschaft - Nichts zu sagen (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44447687.html
)
Der
Spiegel vom 25.05.1950: Saar-Industrie - Sanfter Druck (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44448458.html
)
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