Europa oder Kolonialstatut
Die Saarbevölkerung
ist aufgerufen, am 23. Oktober 1955 - genau ein Jahr
nach der Unterzeichnung - das in Paris abgeschlossene
Saarabkommen und den in diesem enthaltenen französisch-saarländischen
Wirtschaftsvertrag vom 3. Mai 1955 anzunehmen oder durch
ein mehrheitliches NEIN abzulehnen. Beim Zustandekommen
der Vertragswerke waren unabhängige und freie Vertreter
der Saarbevölkerung nicht beteiligt. Andere haben
für diejenigen gehandelt, denen mitzuwirken versagt
war. Allein zwischen der französischen Regierung
und der gegenwärtigen Saarregierung des Ministerpräsidenten
Johannes Hoffmann war zuvor volles Einverständnis
erzielt worden. Seit 1945 gab es zwischen Paris und
der jeweiligen Regierung in Saarbrücken immer nur
vollständiges Einvernehmen.
Das Pariser
Saar-Abkommen ist zugleich das Saar-Statut, das - von
der Saarbevölkerung einmal angenommen - dann ohne
Zustimmung Frankreichs nicht mehr abgeändert werden
kann. Die Regelung trägt die Bezeichnung "Europäisches
Statut der Saar". Worin im Statut, abgesehen von
seinem Wortschatz, die wirklich europäische Gestaltung
(Europas) liegen soll, ist unerfindlich. Separatistische
Politiker behaupten in ihrer Verlegenheit, die im Statut
bestätigte Teilnahmeberechtigung der Saar an "europäischen"
Gremien, wie Europarat, Montan-Union und der Westeuropäischen
Verteidigungsgemeinschaft sei die "Europäisierung"
unserer Saarheimat. Andere sehen im "europäischen"
Kommissar das Schwergewicht, weil dieser später
das Statut zu überwachen, die Beteiligung der Saarbevölkerung
an der militärischen Verteidigung Westeuropas durchzuführen
und diejenigen außenpolitischen Interessen des
"Saarlandes" wahrzunehmen hat, die nach dem
französisch-saarländischen Wirtschaftsvertrag
noch übrig bleiben. Der Wirtschaftsvertrag aber
ist in allen seinen Elementen nichts anderes als ein
Kolonialstatut, wie Frankreich es für Marokko,
Tunis oder Indochina abschließt. Armes Europa,
das so beginnen soll!
Europa
schaffen, heißt Grenzen beseitigen! Solange Zollschranken,
unterschiedliche Währungen und Hemmnisse anderer
Art den freien und ungehinderten Wirtschaftsaustausch
zwischen den europäischen Nationen beeinträchtigen,
kann niemand ernstlich auch nur von ersten Anzeichen
einer europäischen Integration sprechen. Und es
waren doch allein die Franzosen, die am 31. August 1954
mit der Ablehnung des EVG-Vertrages die ersten bescheidenen
Schritte zur Verwirklichung einer echten europäischen
Supranationalität unmöglich gemacht haben.
Schrieb nicht auch die "Saarbrücker Zeitung",
das"sich nicht einmischende" Organ des Quai
d'Orsay an der Saar, am 8. Mai 1954 den inhaltsschweren
Satz: "Die europäische Wirtschaftsunion hat
aber leider das Licht des Tages noch nicht erblickt,
und selbst die optimistischen Europäer erwarten
sie nicht vor zehn Jahren"!
Das SAAR-STATUT
aber verewigt die unnatürlichen Grenzen und Zollmauern
gegenüber unserm angestammten deutschen Vaterland.
Nachdem in Paris der Bundeskanzler und der französische
Ministerpräsident Mendès-France das Saar-Abkommen
unterzeichnet hatten, charakterisierte der letztere
seinen Inhalt mit den Worten: "Die Regelung, die
wir in der Saarfrage erzielt haben, ist sehr gut, denn
sie besteht in der Aufrechterhaltung der französisch-saarländischen
Wirtschaftsunion, die bewirkt, daß es niemals
Zollschranken zwischen Frankreich und der Saar geben
wird, während diejenigen zwischen der Saar und
Deutschland fortdauern werden"! ("Le Monde"
vom 5. November 1954.) Das ist einer der entscheidenden
Gesichtspunkte des Pariser Saar-Statuts. Und wenn immer
ein Deutscher von der Saar in das übrige Deutschland
reisen wird, dann werden ihn französische Zöllner
und die blau-weiß-roten Zollschranken bei Einöd,
Eichelscheid, Nohfelden und Nonnweiler, bei Britten,
Saarhölzbach, bei Weiten und Nennig daran erinnern,
daß hier für alle Saardeutschen Europa endet!
Das ist
das wahre Gesicht des sich zu Unrecht "europäisch"
bezeichnenden Saar-Statuts. Kein anderer als der Bundeskanzler
selbst hat das Urteil über eine Saar-Lösung
gesprochen, wie sie am 23. Oktober 1954 infolge Frankreichs
unnachgiebiger Haltung erzwungen worden ist. Am 30.
Mai 1951 erklärte Dr. Adenauer vor dem Bundestag:
"Wir streben auf ein vereinigtes Europa hin, in
dem die Grenzen fallen sollen. Es erscheint mir antiquiert,
in diesem Stadium der europäischen Entwicklung
noch europäische Zwergstaaten schaffen zu wollen.
Ich kann mir auch nicht denken, welchen überzeugenden
Grund die französischen Verfechter dieses Gedankens
ins Feld führen könnten. Auf die Frage: "Warum
soll ein selbständiger Saarstaat geschaffen werden",
gibt es keine Antwort, wenn die Elemente dieser Antwort
nicht in den Vorstellungen einer Vergangenheit wurzeln,
in denen man sich gegenseitig Landgebiete abnahm oder
sich durch Puffer- und Satellitenstaaten schützen
zu müssen glaubte. Das habe ich vom europäischen
Standpunkt aus gesagt."
Wir haben
dem nichts hinzuzufügen, sondern allein die Konsequenz
aus solcher Erkenntnis zu ziehen. Das Saar-Abkommen
vom 23. Oktober 1954 ist darum keine europäische,
sondern in seinen letzten Auswirkungen antieuropäische
Regelung. Es wird nicht Ruhe, Frieden und Verständigung
für die Beteiligten schaffen, sondern ein ständiger
Keim des Unfriedens und Streits werden.
Wir lehnen
darum dieses Statut als uneuropäisch ab. Wir verlangen
neue Verhandlungen, deren Ziel eine Regelung im wahrhaft
europäischen Geiste sein muß.
Wie diese
im einzelnen aussehen muß, werden wir in den kommenden
Wochen der Saarbevölkerung mit aller Gründlichkeit
darlegen.
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