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1) Restaurant Heusing Spiesen: Gehobene Gastronomie
(Text: Gerhard Bungert)
Hans-Christian Herrmann erinnert im Guide O. (Guddgess Deluxe 2015) an ein Restaurant in
Spiesen, das ich von meiner Kindheit her kannte. Es befand sich in der
Heinitzstraße 60, parallel zu jener Straße mit dem kulinarisch geprägten Namen „Am Butterberg“, wo ich am 11.11.1948 geboren wurde. Chef des
Restaurants war Paul Gerhard Heusing. „Hier sollen französische Führungskräfte des Neunkircher Eisenwerks in den 1950er Jahren ein- und ausgegangen sein.“ (1)
Die Verkehrsverbindung war in jedem Fall ideal: Die
Neunkircher Straßenbahn fuhr vom Stumm-Denkmal (2) in der Stadtmitte bis zur
Endstation in Spiesen. Von dort waren es keine hundert Meter mehr bis zum Gourmet-Tempel
der Frankenzeit.
Paul Gerhard Heusing hatte das Restaurant in den ersten
Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet. Vor dem Zweiten Weltkrieg war es eine
normale Wirtschaft gewesen. Als ich gerade mal dreieinhalb
Monate alt war, hielten dort bereits die Spiesener Ringer ihre erste
Generalversammlung ab (3).
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Speisegaststätte Heusing, 1950er Jahre. Der Mercedes kam aus
dem Reich, dahinter stand ein Traction Avant. (Foto: Gerhard Bungert)
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Ich erinnere mich noch an die Erzählungen meines Urgroßvaters.
(4) Zusammen mit anderen Pensionären spielte er schon vor dem Zweiten
Weltkrieg „beim Heising“ ein Kartenspiel mit dem Namen
„Dulle". (5) Das setzte er auch fort, als das Lokal in den fünfziger
Jahren „fein“ wurde. Einen Konflikt konnte sich „der
Heising“ mit den Eingeborenen nicht leisten. Also tolerierten sie sich.
Einen gewissen Stein des Anstoßes gaben auch die
Nobelkarossen vor der Tür, vor allem, wenn sie St. Ingberter Autonummern
hatten. Diese fingen mit OE 7 bzw. IGB an. Die pensionierten Bergleute in dem
Lokal, die der Christlichen Gewerkschaft angehörten, sahen in IGB die Abkürzung
für die damalige „Industriegewerkschaft Bergbau“. Ihr Kommentar: „Do siehd ma’s
mol wedder, die Bonze!“
Bekannt war „de Heising“ bei uns in Spiesen vor allem
durch seinen „Prager Schinken“ (6) und für das merkwürdige informelle
Testimonial, er sei in der Nazi-Zeit als Koch bei dem Kriegsverbrecher Göring
gewesen. (7) In einer Zeit, als man beim Essen nicht allzu sehr zwischen
Quantität und Qualität differenzierte, warb Göring damit posthum mit seinem
Bauchumfang für das Lokal Heusing in Spiesen.
An Heusings Beerdigung Ende der 50er-Jahre kann ich mich
noch schwach erinnern. Es kamen „Himmel und Menschen“. In dieser Zeit hieß es
mal wieder „Deutsch ist die Saar“. Das betraf viele Lebensbereiche,
selbstverständlich auch das, was die Spitzenköche fabrizierten.
Paul Gerhard Heusing war nicht fest in eine kulinarisch geprägte
Familienhierarchie integriert. Sein Vater war ein Polizist, der wie der
legendäre Spiesener Dorfpolizist Fuchs aus Ostpreußen stammte. Beide waren wohl
im Saarland keine Einzelfälle. In Herrensohr gab es zum Beispiel auch einen
Polizisten mit Namen Heier (oder Heyer). Alle drei galten als „Pickelhaubentypen“.(8) Wann sie an die Saar kamen, das ist unklar. In jedem Fall vor 1935 -
vielleicht aber auch schon in der Kaiserzeit.
Die Familie Heusing selbst war in Spiesen nicht sehr stark integriert. Das
hing wohl mit der Herkunft aus Ostpreußen zusammen und mit dem außergewöhnlichen
Beruf eines Spitzengastronomen. Die Gäste kamen ja meistens von außerhalb. Zwei
Töchter des Kochs haben sich allerdings in Spiesen „ganz normal“ verheiratet. Eine berufliche Nachfolge in der Familie gab es nicht.
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(1) Hans-Christian Herrmann. Vom „Speckfranzosen“ zum
„Saargourmet“. in: Holger Gettmann, Thomas Störmer. Guddgess Deluxe,
Saarländische Klassiker von unseren Spitzenköchen neu interpretiert. Saarbrücken
2015, S. 67
(2) Betonung auf dem Imperativ von „denken“, also
sinngemäß: „Lieber Stumm, dann denk doch bitte mal nach!“
(3) Dieser Verein sollte später in die saarländische Sportgeschichte
eingehen. Der Schwergewichtsringer Wilfried Dieterich, der zwischen 1956 und
1968 mehrere Olympiamedaillen gewann und als „Kran von Schifferstadt“ noch
heute bekannt ist, wohnte vorher in Spiesen bei meiner Tante Sophie in der Hohlstraße
21.
(4) Josef Bauer, genannt: „de ald Bauer“ (1868 bis 1961)
(5) ein früher geläufiger Ausdruck für Doppelkopf; leitet sich
wahrscheinlich u.a. von Schafskopf ab, aus dem auch das Skatspiel entstanden
sein soll.
(6) Der Prager
Schinken hat seinen Ursprung in Böhmen. Er wird warm als Kochschinken in einem
Brotteigmantel meist mit einer Madeirasoße serviert.
(7) Nichts Genaues weiß man nicht. Möglich wäre
eine Beschäftigung Heusings in dem Jagdschloss Carinhall in der Schorfheide bei
Berlin. Dort kümmerte sich Küchenchef Fedor Rathmann zusammen mit fünf Köchen
und einer Küchengehilfin vor allem um das leibliche Wohl der Nazi-Freunde von
Göring, zu dem die Bezeichnung „Spargeltarzan“ sicher nicht gepasst hätte.
(8) ein Ausdruck meiner Mutter
2) „Hähnches-Diener“ in Bischmisheim (Text: Gerhard Bungert)
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Meine Tante erzählte des Öfteren begeistert vom „Hähnches-Diener“ in
Bischmisheim (1). Dort muss es ganz vornehm zugegangen sein, denn sonst wäre meine
Tante Anna nie dahin gegangen. Sie war schließlich als Sekretärin „auf der Regierung“.
Als Kind stellte ich mir immer vor, dass in diesem Lokal ein Diener auf einem silbernen Tablett ein Hähnchen serviert, so ähnlich wie der Butler in
Dinner for One. Auf die Idee, dass es sich bei „Diener“ lediglich um einen
Familiennamen handeln könnte, bin ich erst später gekommen.
Das
Restaurant „Hähnchen Diener“ befand sich in Bischmisheim in einem burgähnlichen Hotel
mit dem Namen Hotel Berghof. Dieses wurde 1988 in ein Seniorenheim
umgewandelt und später abgerissen.
(1) So hieß er im Volksmund; hochdeutsch: Hähnchen-Diener
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Ein kleiner Zusatz zum Thema Hähnchen-Diener von Dr. Dietrich Arbenz:
Ich erinnere ich mich genau an Folgendes: Meine Mutter erzählte mehrmals, dass man dort (wenn man es wollte) mit dem Koch zu den lebenden Hühnern gehen und sich eines heraussuchen konnte, das der Koch dann fing, um es.... - ich fand diese Tatsache immer sehr gruselig. Aber deshalb gab es dort auch immer die frischesten Hähnchen!
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3) Das Eiskaffee Bertram in Neunkirchen
Zusammengetragen und aufgezeichnet im Jahr 2016 von Erika Wiemer geb. Bertram (bearbeitet für Saar-Nostalgie von R. Freyer)
Vorbemerkung
Das Eiskaffee Bertram, einst ein beliebter Treffpunkt der Neunkircher Jugend, wird in verschiedenen Büchern über die Geschichte der Stadt
Neunkirchen erwähnt. Leider schleichen sich in diese Berichte, die aus
Jugenderinnerungen von Zeitzeugen stammen, manchmal kleine Fehler ein, die
normalerweise niemand bemerkt. Mir aber, als Tochter der ehemaligen Inhaber
Kurt und Hermine Bertram, also als sog. „Insider“, fallen sie auf. So z.B. hier: In ihrem Buch „Also, um acht bei Jonny Kowa“ widmet
Elfriede Schild dem Eiskaffee Bertram eine ganze Seite. Dieser Bericht ist fast
eine Hommage an das Geschäft meiner Eltern, aber er weist leider folgende Fehler auf:
Das Eiskaffee Bertram in Neunkirchen existierte nicht erst
von 1946 an, sondern bereits seit 1925, und zwar zuerst als Eisbude, dann als
Eishalle und seit 1937 als Café mit Straßenverkauf in einem festen Gebäude
aus Stein. Es wurde 1955 aufgegeben. Das Gebäude wurde nicht wegen des geplanten Corona-Hochhauses abgerissen, sondern wegen der Verbreiterung und Umgestaltung der Lindenallee.
Dies ging allerdings mit dem Wiederaufbau der Bahnhofstraße und dem damit verbundenen Bau des Corona-Hochhauses einher.
Das Eiskaffee sollte ursprünglich im Neubau des Hauses Lindenallee 1
wiedereröffnet werden, das im Bild rechts rot umrandet ist. Im Erdgeschoss
dieses Gebäudes sollte 1956 ein neues, modernes "Eiscafé Bertram" eingerichtet
werden.
Während der Bauphase jedoch beschloss meine Mutter, sich aus
dem Arbeitsleben zurückzuziehen und das Haus nach Fertigstellung ganz zu
vermieten. Dies geschah nach Rücksprache mit uns drei Kindern, Alfred, Gerhard
und Erika, von denen keines bereit war, das Eisgeschäft später einmal weiterzuführen.
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Die Geschichte des „Eiskaffee Bertram“
Die Geschichte des „Eiskaffee Bertram“ beginnt eigentlich
schon um das Jahr 1900 auf einem Kirmesplatz, wo meine Großeltern Philipp und
Katharina Thurn selbstgebackenes Magenbrot und andere Süßigkeiten verkauften. Eines
Tages wurde dort eine bisher unbekannte Leckerei angeboten. Meine Großmutter,
neugierig geworden, kaufte sich ein Tütchen davon, biss hinein und spuckte aus:
„Pfui Teufel, das ist ja kalt!“ schimpfte sie. Sie hatte soeben ihr erstes Speiseeis
probiert.
Dann aber witterten meine Großeltern das große Geschäft im
Eisverkauf. Sie kauften sich eine Holzbude und verkauften außer Magenbrot nun
auch Eis auf der Kirmes. Später bauten sie in Völklingen ein feststehendes Holzhaus an den Rand der über
die Saar führenden Brücke, der heutigen Karolinger Brücke, und eröffneten dort „Thurns Fruchteis
Conditorei“ -
siehe Foto:
Die Frau mit der weißen Schürze ist meine Oma Katharina Thurn. Das Kind an ihrer Hand ist Hermine und spätere
Besitzerin des "Eiskaffee Bertram".
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Am 28. Mai 1925 heirateten Kurt Bertram und Hermine Thurn,
meine späteren Eltern. Als Mitgift erhielt Hermine eine hölzerne Eisbude zum Aufbau einer eigenen Existenz. Diese Bude stellten die Eheleute Bertram
am Eingang des damaligen Parks der Lindenallee in Neunkirchen auf.
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Links außen: Lindenallee 1935; oben: erste
Eisbude
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Den Grund und Boden pachteten sie von Frau Allmang, der damaligen Besitzerin
des Corona-Kinos.
Frau Allmang war eine sehr vermögende Frau. Ihr gehörte der
ganze Gebäudekomplex der Bahnhofstaße ab Hotel Halberg (an der Blies) bis zur
Lindenallee und auch die dahinter liegenden Grundstücke der Lindenallee bis zum
Ende des Kinogebäudes.
Außerdem hatte sie die von Architekt Mundorf um 1900 gebaute Villa in der damaligen Hohenlohestraße erworben, die von da an „Allmangs
Schlessje“ genannt wurde. (Mundorf war u.a. Planer der historischen Georgstraße.)
Bild rechts: Das Allmangsche Schlösschen mit hinterer Lindenallee
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Wo genau befand sich das erste Eisgeschäft?
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Zu dem damaligen Eckhaus Bahnhofstraße/Lindenallee gehörte ein kleiner
Hof. Daneben gab es in einer Holzbaracke eine Wettannahmestelle für
Pferderennen. Daran angrenzend stand die erste
Eisbude meiner Eltern. Das Geschäft florierte, die Bude wurde bald zu klein. Es
folgte ein größerer Verkaufsstand mit dem Namen „Eishalle Bertram“ (siehe Foto).
Den freien Platz rechts daneben grenzten meine Eltern mit
einem Gartenzaun ab, bestückten ihn mit Gartenmöbeln,
Blumenkästen und Sonnenschirmen.
Der so gewonnene “Garten“ diente der Gästebewirtung, aber
auch als „gute Stube“ für die ganze Familie. Außerdem wurden hier je nach
Jahreszeit Körbe von frischem Obst für das Fruchteis
vorbereitet. Meine beiden Brüder Gerhard
und Alfred, im Sommer 1935 sechs bzw. sieben Jahre alt, mussten schon tüchtig mithelfen:
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Alfred und Gerhard beim Vorbereiten der Früchte
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Gerhard an der Eismaschine
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Doch diese Idylle war im Herbst
vorbei, wenn die Blies Hochwasser führte. Das
Bild (links) spricht für sich!
Meine
Eltern fassten daraufhin den Entschluss, ein festes Gebäude zu errichten, ein Geschäft,
das auch im Winter betrieben werden konnte. Frau Allmang verkaufte ihnen das
Grundstück von der Ecke Bahnhofstraße bis zur Grenze des bisher gepachteten Geländes.
Im
Jahr 1936 wurde mit dem Bau des „Eiskaffee Bertram“ begonnen. Es wurde ein für die damalige Zeit
hochmodernes Gebäude mit Flachdach, einem Gastraum für ca. 40 Personen und zwei
Toiletten, damals bereits für Damen und Herren getrennt. Links neben der großzügigen
Eingangstür zum Café gab es zwei sogenannte „Schalter“ für den Straßenverkauf.
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Im Sommer 1937 war Eröffnung, die
Leuchtreklame wurde 1939 angebracht. Der ehemals freie Platz zur
Bahnhofstraße hin wurde als Gastgarten angelegt mit einem Springbrunnen und
vielen Blumen. Der Garten grenzte unmittelbar an das Eckgebäude
Bahnhofstraße/Lindenallee, in dem im Erdgeschoss ein Frisiersalon betrieben wurde.
Noch heute erinnere ich mich an den Duft, der von dort aus den geöffneten Fenstern drang.
Zur Lindenallee hin wurde der Garten mit Blumenkästen abgegrenzt. In späterer Zeit wurden diese auf den Fußboden gestellt und mit Bohnensamen bestückt. Die
Pflanzen hieraus wuchsen schnell und blühten wunderschön in mehreren Farben.
Die Gäste staunten: „Das sind ja Bohnen!“ und waren begeistert.
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Erika
Bertram, im Hintergrund die Fenster des
Frisiersalons
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Gerhard Bertram am Springbrunnen
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Wie sah es im Innern des Geschäftes aus?
Der Gastraum war vom übrigen
Geschäft abgetrennt durch eine Bedienungstheke, später noch durch einen
Gläserschrank, der dahinter stand. Hier wie auch im Garten wurden an den
Tischen Eisbecher, Eis mit Früchten, Eiskaffee und sog. “Schlemmerbecher“ serviert. Das waren langstielige Gläser, gefüllt mit
verschiedenen Eisspezialitäten, Obst, Sahne und Likör.
An den Schaltern zur Straße wurde
das Eis in Tütchen oder zwischen zwei zusammengeklappten Eiswaffeln verkauft. Es
gab vorwiegend Vanille-, Schokoladen-, Nuss-, Zitronen- und je nach Jahreszeit auch
Erdbeer- oder Himbeereis. Später verkauften wir an
einem der Schalter selbst hergestelltes Zitronenwasser. Dieses wurde dekorativ in
einem gekühlten Glasbehälter (einem Aquarium ähnlich) angeboten, mit
Zitronenscheiben bestückt. Das Zitronenwasser fand riesigen Absatz, vor allem
bei Bergleuten und Hüttenarbeitern, die sich nach der Schicht eine Erfrischung
gönnen und dabei auf Bier lieber
verzichten wollten.
Beim Warten auf sein Tütchen
Eis konnte man von draußen zuschauen, wie das Eis gefroren wurde. Man blickte
auf die drei elektrisch betriebenen Eismaschinen, die bei Hochbetrieb
gleichzeitig im Einsatz waren, und mehrere Kühlschränke, in denen die fertige Eismasse aufbewahrt wurde. Im Hintergrund stand ein Rollschrank, darauf ein Grammophon - „Die Stimme seines Herrn“. Zur Gästeunterhaltung wurden Schallplatten aufgelegt.
An der Wand dahinter hing eines der ersten Telefone, die es in Neunkirchen gab. Die Nummern waren damals zweistellig!
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Hinter diesem Raum lag die Küche, in der das Geschirr gespült wurde, natürlich von Hand, denn eine Spülmaschine gab es in diesen Jahren noch nicht. Vor allem aber wurde hier die Eismasse vorbereitet und gekocht. Dazu wurden ein ca. 30 cm niedriger Gaskocher und große Töpfe mit einem Durchmesser von ca. 70 cm verwendet. An
der Wand hing ein kupferner Kessel mit Rührgerät, in dem Eier schaumig geschlagen wurden.
Für das Vanille-Eis wurden reine Vanilleschoten verwendet, für das Nuss-Eis frisch geröstete Haselnüsse. Für Fruchteis kam nur frisches
oder selbst eingewecktes Obst infrage, künstliche Aromen waren völlig ausgeschlossen.
Die nach dem Kochen etwas abgekühlte Eismasse wurde in große Kannen gefüllt, wie sie Milchbauern und Molkereien verwenden, und in Kühlschränken
aufbewahrt, bis sie in den Eismaschinen zum fertigen Speiseeis gefroren wurde.
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Bertrams Eisrezepte waren
geheim und wurden streng gehütet. Die Eismasse wurde deshalb am ganz frühen
Morgen zubereitet und zwar ausschließlich von einem Mitglied der Familie oder
einer engvertrauten Angestellten namens Elsa Eifler, unserer „Eia“, die
ursprünglich als Hausangestellte bei meinen Eltern angefangen hatte und uns
Kinder wie ihre eigenen erzog.
Bild rechts: Eia und Gerhard vor dem Geschäft
Im September 1938 starb mein Vater (Kurt Bertram), erst 35 Jahre alt. Von nun an musste
meine Mutter den Betrieb alleine führen. 1939
begann der 2. Weltkrieg; er erreichte Neunkirchen im Sommer 1944. Luftangriffe,
Fliegeralarm und Aufenthalt im "Bunker" waren an
der Tagesordnung. Vom Herbst 1944 bis
Kriegsende blieb das Eisgeschäft daher geschlossen.
Am 15. März 1945, bei dem
großen Bombenangriff auf Neunkirchen, wurden sämtliche Häuser der Bahnhofstraße
von Ecke Lindenallee bis zur Blies-Brücke einschließlich Hotel Halberg total
zerstört.
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Ruinen
nach dem 15. März 1945 in der Bahnhofstraße: Blick von der Bliesbrücke auf Hotel Halberg (heute steht dort das Corona-Hochhaus) und Eiskaffee Bertram (siehe Pfeil, weißes Gebäude mit Flachdach).
Das Eiskaffee Bertram brannte zwar nicht ab, wurde aber stark beschädigt. Die 1939 gebaute Leuchtreklame auf dem Dach gab es nun nicht
mehr, die großen Fenster des Cafés waren zerborsten, und der Springbrunnen im
Garten hatte aufgehört zu plätschern. Wie es im Innern des Geschäfts aussah,
weiß ich nicht mehr.
Nach Kriegsende ließ meine
Mutter alles notdürftig reparieren, damit der Geschäftsbetrieb so bald wie
möglich wieder aufgenommen werden konnte. Große Glasscheiben gab es nicht. Deshalb wurden
in jedem Fenster statt einer großen Scheibe acht kleine Scheiben mit Leisten
verbunden und eingebaut. Statt Rollläden wurden Klappläden angebracht. Die
Leuchtreklame auf dem Dach wurde durch ein einfaches Holzschild ersetzt.
Anstelle des Springbrunnens gab es nur noch ein rundes Blumenbeet.
Das Eckhaus zur Bahnhofstraße mit dem Frisiersalon, an den unser Gastgarten angrenzte, war jetzt nur noch eine Ruine. In die dort noch vorhandenen Fensteröffnungen stellten
wir Töpfe mit blühenden Blumen.
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Das Eiskaffee nach der Instandsetzung 1947 - Bild rechts: Gastgarten
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Woher meine Mutter in der
Nachkriegszeit die Zutaten für die Eisherstellung besorgen konnte, ist mir bis
heute schleierhaft. Das erste Eis nach dem Krieg schmeckte vergleichsweise abscheulich. An Zucker mangelte
es sowieso. Wer ein Bällchen Eis kaufen wollte, musste außer dem Geld 20 g
Zucker in Tütchen abgeben. Der Zucker wurde gewogen und eine Messerspitze davon
abgeschmeckt. Es kam nämlich vor, dass Salz statt Zucker im Tütchen war. Außerdem
wurde geprüft, ob auch unten im Tütchen tatsächlich noch Zucker war. Denn Salz
statt Zucker im Eis wäre natürlich eine Katastrophe gewesen!
Das Bild rechts entstand am 24. Juni 1947 bei Gerhards 19. Geburts- tag. Die Personen auf dem Foto sind:
hintere Reihe 2. von links: Hermine Bertram
hintere Reihe 3. von links: Gerhard Bertram
hintere Reihe 4. von links: Erika Bertram (als Kind, stehend)
vordere
Reihe, ganz rechts: Hans und Gretel Wachter (die Erben von Frau Allmang und Erbauer des Corona-Hochhauses); die anderen sind Angestellte des Eiskaffees.
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Nachkriegszeit und Aufschwung
Im
Krieg waren große Teile der Stadt Neunkirchen den Bomben zum Opfer gefallen. Die
Lindenallee, die bisher ein Park gewesen war, wurde mit dem Bauschutt
aufgefüllt. Das Gelände wurde planiert und danach viele Jahre als Kirmesplatz
genutzt.
Man kann sich denken, was das
für das Eisgeschäft bedeutete: Jeder Kirmesbesucher kam auf dem Hinweg und auf
dem Nachhauseweg am Eiskaffee Bertram vorbei!
Nachdem ab 1947 im Saarland
die Hungersnot beendet war, konnten wir auch wieder gute Zutaten für „Bertrams Eis“
beschaffen, was die Qualität des Produktes enorm steigerte. „Im ganzen Saarland
und darüber hinaus ist Bertrams Eis bekannt…“ lautete ein Werbespot, der
längere Zeit im Corona-Kino lief.
Bei Hochbetrieb und besonders
an den Kirmestagen wurde jede Hand gebraucht. Ich, jüngstes Mitglied der
Bertram-Familie, musste schon als Kind von 6 oder 7 Jahren - auf einem
Stühlchen stehend - Geschirr abwaschen. Kaum waren Gläser und Bestecke
weggeräumt, kam die Bedienung wieder mit einem Tablett voller benutzter Eisbecher. Es war zum Verzweifeln! Als ich dann größer wurde, stand ich oft
Stunde um Stunde am Eisschalter, bis mir Rücken und Füße schmerzten. Mit Freunden nachmittags auf den Kirmesplatz
gehen? Undenkbar! Diese Zeit war Hochkonjunktur für unser Geschäft.
Der Winter allerdings war für
uns die so genannte „Saure-Gurken-Zeit“. Das Eiskaffee blieb (im Gegensatz zu
italienischen Eisdielen) das ganze Jahr über geöffnet. In der kalten Jahreszeit
wurden vorwiegend Kaffee, Kakao, Tee und Kuchen angeboten. Auf die kalten Marmorplatten
wurden Tischdecken gelegt und Blumen gestellt. Das Lokal wurde gut beheizt. Aber
ein gemütliches Kaffeehaus wurde es trotzdem nicht.
(Foto: August Gotthold)
Mein Bruder Alfred, 1948 mit 21
Jahren aus Kriegsgefangenschaft heimgekehrt und seitdem eine große Stütze unserer
Mutter im Geschäft, hatte eines Tages eine ganz verrückte Idee: In der Hoffnung, den Umsatz
über Winter zu fördern, ließ er eine Tischtennisplatte in das Café stellen, um so
der Neunkircher Jugend eine Begegnungsstätte anzubieten. Die jungen Leute kamen zwar, spielten
unentgeltlich Tischtennis und tranken den Abend über meist nur eine einzige
Coca-Cola. Nach kurzer Zeit war deshalb die Tischtennisplatte wieder verschwunden.
Einschneidende Veränderung
In den Jahren 1953/54
beschlossen die Stadtplaner von Neunkirchen, im Zusammenhang mit dem
Wiederaufbau der Bahnhofstraße das Straßenniveau der Lindenallee anzuheben, die
Straße zu verbreitern und ganz neu zu gestalten. Es sollten neue Geschäfte und vor
allem Sozialwohnungen entstehen. Dabei stand das Eiskaffee Bertram im Weg. Man
bot meiner Mutter einen Grundstückstausch an, was diese jedoch ablehnte. Danach
musste sie sich entscheiden, entweder ebenfalls - und zwar nach den
vorgegebenen Plänen - zu bauen oder enteignet zu werden. Schweren Herzens und
mit großen finanziellen Sorgen entschloss sie sich für den Neubau. Im Erd- und Zwischengeschoss
des Hauses sollte ein großes, modernes Café entstehen, ein Café über zwei
Etagen, verbunden durch eine Wendeltreppe. Darüber, vom ersten bis zum vierten Stock, mussten
zwölf Sozialwohnungen errichtet werden.
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Das Café Bertram im Mai 1955, kurz vor dem
Abriss
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Baubeginn in der Bahnhofstraße. Küche und Verkaufs-schalter des Eisgeschäftes sind noch in Betrieb.
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Das Geschäft in der alten Lindenallee betrieb meine Mutter so lange wie irgend
möglich. Selbst als bereits Teile des
Gebäudes abgerissen waren, wurde der Eisverkauf in den noch verbliebenen
Gebäuderesten betrieben.
Als auch das nicht mehr möglich war, mietete meine Mutter für den Rest des Sommers 1955 ein leerstehendes Ladenlokal in der Bahnhofstraße und richtete dort das Eiskaffee ein. Es war nicht für lange.
Das Haus war alt, es roch modrig und war wenig einladend. Schon im Herbst 1955 wurde es wieder aufgegeben - man hatte ja schließlich bereits mit dem Neubau des Eiskaffees in der Lindenallee begonnen.
Bild links: Notlösung
für kurze Zeit in der Bahnhofstraße
Bild unten: erster Abschnitt Neubau Lindenallee
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Unsere Mutter war damals 53 Jahre alt. Wie lange wollte sie das Geschäft noch betreiben, wollte sie Tag für Tag im Laden stehen?
Wir Kinder Alfred, Gerhard und Erika hatten weder eine sorglose Kindheit
noch ein Familienleben gehabt.
Das sollte über Generationen
so weitergehen? Wir sagten nein.
Und unsere Mutter: Was hatte sie bisher in ihrem Leben gehabt außer Arbeit und Sorgen? Wir überlegten gemeinsam: Wenn
sie jetzt in dem Neubau statt eines großen Eiscafés zwei Ladenlokale einrichten und vermieten
würde, müsste sie nicht mehr arbeiten, könnte von den Mieteinnahmen ganz gut leben und den Rest ihres Lebens endlich genießen.
Und so geschah es. Die Ära „Eiskaffee Bertram“ war damit beendet.
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Das Foto im Abschnitt "Nachkriegszeit und Aufschwung" ist von August Gotthold.
Copyright für alle anderen Bilder und den Text im Abschnitt Eiskaffee Bertram: Erika Wiemer, Saarbrücken-Klarenthal
Diese Seite wurde erstellt am 12.4.2015
und zuletzt bearbeitet am 25.1.2019
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