● Einführung
Vor
dem Hintergrund der politischen Entwicklung von Kriegsende,
französischer Besatzung, Saarstaat und Eingliederung in die
Bundesrepublik Deutschland vollzog sich im Saarland ein zwar mit den literarischen Strömungen in Deutschland verbundener, jedoch in wesentlichen Zügen eigenständiger literarischer Diskurs.
Dieser
Prozess der Nachkriegsmoderne ist von der Auflösung traditioneller
Formen geprägt sowie von den Stimmen der Gegenbewegung,
die auf Bewahrung verharren.
Den nachfolgenden Text hat Gerhard Bungert
verfasst. Er ist einer der bekanntesten saarländischen Publizisten und
Autor zahlreicher Schriften und Bücher. Mehr über sein Leben und Werk
finden Sie auf unserer Seite Über uns unter "Gerhard Bungert".
● Eine literarische Diaspora?
Das war das Saarland nicht. Übersetzte doch bereits um 1437
die Saarbrücker Gräfin Elisabeth von Lothringen vier seinerzeit gängige
französische
„Chansons de geste". Sie gilt dadurch als Wegbereiterin des deutschen Prosaromans.
1770 kam Goethe zu Besuch in die Gegend an Saar und Blies. Für ihn war die kleine Residenz ein
„lichter Punkt in einem so felsig waldigen Lande“. Das war „Dichtung und
Wahrheit“ (10. Buch). Iffland und Knigge waren auch da und lobten den Fürsten über alles. [1]
Große
Namen sucht man im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert an der Saar fast
vergebens. Die Ausnahmen werfen kein allzu positives Licht auf die
Saargegend: Victor Hugo
mokierte sich 1863 über die „vier oder fünf Zwiebeltürme“ der Stadt
Saarbrücken, und Theodor Fontane findet
1872 die Stadt „öd und trist“. Eine
Lesung von Hermann Hesse geht 1912 in Saarbrücken total daneben, weil ihn die
Besucher für einen Komiker halten.
Eine positive Stimme während des Ersten Weltkriegs war die
von Alfred Döblin. Er war in Saargemünd als Militärarzt stationiert, und er kam
oft rüber in das „wundervolle Saartal“.
Dazwischen und danach gab es viel Historisches und später
auch Beschauliches, etwa von Liesbet Dill und Maria Croon, wobei allen
Heimatautoren gemeinsam ist, dass sie den Antagonismus von Regionalismus und Nationalismus nicht erkannten.
Maria Croon
Das alles sollte sich erst 1933 mit der Machtergreifung der
Nationalsozialisten ändern. Da schrieben plötzlich bedeutende Schriftsteller über die
Saar (u.a. Bert Brecht) und antifaschistische Autoren kamen in das noch nicht
nationalsozialistische Saarland (u.a.
Theodor Balk, Erich Weinert und Ilja Ehrenburg). Zwei Saarländer wurden bekannt, deren Wirkung noch in die Zeit
des Saarstaates und darüber hinaus ausstrahlen sollte: Gustav Regler und Johannes Kirschweng.
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[1] Fürst
Ludwig von Nassau-Saarbrücken hatte den Dramatiker und Schauspieler
August Wilhelm Iffland 1786 in die Saarbrücker Residenz eingeladen.
Adolf von Knigge besuchte Saarbrücken kurz nach 1790.
● Gustav Regler (1898 -1963) und Johannes Kirschweng (1900 -1951)
Hier der weltoffene und -erfahrene Homme de lettres Gustav Regler, Repräsentant des öffentlichen Lebens, unstet,
in den Zentren der alten wie der neuen Welt zu Hause, glänzender
Gesellschafter, brillanter Unterhalter, polyglott, künstlerisch vielseitig
interessiert, befreundet oder bekannt mit vielen Persönlichkeiten aus Politik
und Kultur dieses Jahrhunderts, Verehrer der Frauen mit donjuanesken Zügen.
Dort der katholische Geistliche Johannes Kirschweng, der nur selten den Bereich seiner engeren
Heimat verließ, Einzelgänger, der Familie verbunden, zeitweise ihr einziger
„Ernährer“ [2].
Beide
waren fast gleich alt (Regler wurde 1898 geboren,
Kirschweng 1900) und waren in einem katholischen Milieu aufgewachsen,
das sich
gegen zwei Antiwelten verteidigen sollte: Auf der einen Seite gab es
den Protestantismus,
dessen Spuren von Luther über die Reichsgründung 1871, den darauf
folgenden
Kulturkampf bis hin zu den Nationalsozialisten gingen. Auf der anderen
Seite
gab es die Franzosen, die 1789 sehr konsequent die „gottgewollte
Ordnung“
stürzten, auch an der Saar die Leibeigenschaft abschafften, in
Frankreich den Laizismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts als
„Staatsreligion“ einführten, nach beiden Weltkriegen das Saarland
besetzt hielten und schließlich 1948 die Universität
des Saarlandes gründeten.
Kirschweng hatte bei der Saarabstimmung 1935 als Mann der
Kirche das - in seinen Augen - kleinere Übel gewählt und als Kulturwart der Deutschen Front
in Wadgassen tatkräftig dabei geholfen, die Saar (wegen oder trotz Hitler?) ins
Deutsche Reich zu trommeln. Als damaliger Kommunist stand Regler auf der anderen Seite. Kirschweng
schrieb „Das wachsende Reich“ und Regler „Im Kreuzfeuer“. Beide Bücher waren (wegen
oder trotz der Aktualität der
Ereignisse?) qualitative Tiefpunkte des Schaffens der beiden ansonsten besten
saarländischen Autoren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
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[2] Ralph Schock: „Ihr seid da unten Borussophoben“. G. Regler und Joh. Kirschweng. In: Klaus-Michael Mallmann, Gerhard
Paul, Ralph Schock, Reinhard Klimmt (Hrsg.): Richtig daheim waren wir nie,
Entdeckungsreisen ins Saarrevier 1815-1955. Berlin/Bonn 1987, S. 244.
Die literarische Koalition
In den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg gab es auch für die Menschen an der Saar wichtigere Dinge als Literatur. Umso erstaunlicher ist es, dass sich
Kirschweng bereits im Oktober 1946 mit einer Broschüre zu Wort meldete. Sie
trägt den Titel „Bewahrtes und Verheißenes“ und plädiert plötzlich für die Annäherung an Frankreich (siehe weiter unten!). Sofort gab es Entrüstung, Ablehnung und Widerstand. Unverständlich für viele, dass er den 8.
Mai 1945 als „eine der großen Kundgebungen der Gerechtigkeit dieser Welt“
beschrieb. Aber Kirschweng ließ nicht locker: „Wir wollen … keinen
Nationalismus mehr. Wir wollen Europa. Wir wollen in Europa ein Saarland, in
dem sich deutsche und französische Kultur begegnen.“ Dabei dachte Kirschweng sicher nicht an das laizistische
Frankreich. Er schwelgte eher in lothringischen Mythen und suchte in ihnen eine
Zwischenform, die die beiden Antiwelten (siehe oben!) ausschließen sollte.
Ebenfalls
dazugelernt hatte Gustav Regler. Er war Politischer Kommissar der 12.
Internationalen Brigade im Spanischen Bürgerkrieg gewesen (Spitzname
„Brigade ebbes“ – wegen des ziemlich hohen Anteils an Saarländern), löste
sich ab 1939/40 u.a. wegen des Hitler-Stalin-Abkommens allmählich vom
Kommunismus und trennte
sich Anfang 1942 schließlich ganz von ihm, und am 13. Januar 1950
erschien in der „Neuen Saar“ ein Interview mit Regler, in dem er mit
ähnlichen Argumenten wie Kirschweng eine europäische
Perspektive für die Saar vorschlug:
„Was
mir wesentlich an diesem kleinen kräftigen Gebilde
erscheint, ist die Hoffnung, dass es ein Musterstaat in einem freien
Europa werden könnte. (…) Oft hatte ich den Eindruck, dass die
Saarländer die Vorteile ihrer Position nicht genügend sehen und dass
Nutznießer und Gescheiterte ihnen
wieder sentimentale Phrasen statt Butter aufs Brot streichen wollen.
Allem
nationalen Geschwätz sollte man immer wieder die europäische Lösung
entgegenhalten.“ [3]
Die Stellungnahmen von Kirschweng und Regler widerspiegeln
die politische Situation. Es regiert im Saarland seit dem 20.12.1947 das erste
Kabinett Hoffmann, eine große Koalition, die von Hoffmanns Christlicher
Volkspartei und Kirns Sozialdemokratischer Partei Saar gebildet wird.
Kirschweng steht dabei für den Standpunkt der CVP, und Gustav Regler hätte
sicher für die SPS Partei ergriffen.
Johannes Kirschweng
konnte die zweite Saarabstimmung nicht mehr erleben. Er starb am 22.
August 1951 - angefeindet und verbittert. Gustav Regler ergriff 1955
klar Partei für das Saarstatut. Für Heinrich Schneider findet er deutliche Worte: „Der Trommler
Goebbels war sein Lehrmeister, der hemmungslose Hitler für einige Jahre sein
Idol. … Wir sind wieder da, sagt, die Maske abnehmend, der Ex-Nazi Schneider.“ [3]
Mehr über Johannes Kirschweng
finden Sie ganz unten auf dieser Seite.
Gustav Regler hatte allen Grund, auch in kritische Distanz
zur Hoffmann-Regierung zu gehen, wollte doch der saarländische Kultusminister
Emil Straus, obwohl Antifaschist und Emigrant, seinen 1947 erschienenen Roman "Amimitl"
aus sittlich-moralischen Gründen mit einer Art Jugendverbot belegen.
Aber nach der Rückgliederung, im Jahr 1960, erhielt er, der
saarländische Autor Gustav Regler, Freund von Ernest Hemingway, Klaus
Mann, Anna
Seghers, André Malraux, André Gide, Maxim Gorki, Ilja
Ehrenburg
und vielen anderen
Literatur-Koryphäen, den 1. Saarländischen Kunstpreis für Literatur, zu
dessen Verleihung der frühere NSDAP-Angehörige und damalige
Ministerpräsident Franz-Josef Röder nicht erschien; die Urkunde trägt
auch nicht Röders Unterschrift.
1972 konnten die
deutschen Fernsehzuschauer einen Dokumentarfilm über den Schriftsteller mit dem
Titel "Merzig - Moskau - Mexiko" sehen und 2011 einen weiteren Dokumentarfilm, der neben Reglers
Leben seine Zeit in Mexiko nachzeichnete ("Den Himmel auf Erden
suchen - Gustav Reglers zweite Heimat Mexiko"). Der Spielfilm "Brennendes
Herz" von 1995 lehnte sich an sein Hauptwerk an: "Das Ohr des Malchus. Eine
Lebensgeschichte". Dieser
autobiografische Roman war 1958 erschienen und zu einem bundesdeutschen
Bestseller geworden, der in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde und weltweite
Resonanz fand. Manche Kritiker sagen, er enthalte "mehr Dichtung als Wahrheit".
Kindlers neues Literaturlexikon resümiert: "Unbestritten bleibt der
zeitgeschichtliche Wert dieser Lebenserinnerungen."
Die
Politik tat sich schwer mit dem früheren Kommunisten. Anders seine
Schriftstellerkollegen, die Familie Regler, die Universität des
Saarlandes und der SR. Als der saarländische Schriftstellerverband 1978
eine Anthologie mit dem Titel „Begegnung mit Gustav Regler“ herausgab, gelang es ihm nur in einem "Kraftakt" und mit Hilfe gewichtiger Fürsprecher, das Kultusministerium der Regierung Röder zu einer finanziellen Unterstützung zu bewegen. Im gleichen Jahr wurden in Merzig zu Reglers 80.
Geburtstag eine literarische Matinee und eine Ausstellung über Leben und Werk
des Schriftstellers ausgerichtet, die eine große Resonanz fanden. Ebenfalls wurde zu diesem Zeitpunkt an der Universität
des Saarlandes die Gustav-Regler- Forschungsstelle eingerichtet, deren erste
Deposita auf den Beständen des Archivs der Familie Regler beruhten.
Am
14. Januar 1963 erlag Gustav Regler kurz vor einem geplanten Besuch bei
Pandit Nehru in Indien einem Gehirnschlag. Seine Grabstätte befindet
sich in Merzig, wo auf dem nach ihm benannten Platz ein Gedenkstein an
ihn erinnert. Auch in Saarbrücken gibt es einen Gustav-Regler-Platz und
in Neunkirchen eine Gustav-Regler-Straße. Seit 1999 vergeben der
Saarländische
Rundfunk und die Stadt Merzig
alle drei Jahre den Gustav-Regler-Preis für eine herausragende literarische Gesamtleistung.
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[3] zitiert nach Ralph Schock (siehe Fußnote 2), S. 247.
Herzlichen Dank an Annemay Regler-Repplinger, Merzig, für einige Ergänzungen zu Gustav Regler und für die Fotos von ihm aus dem
© Gustav-Regler-Archiv Merzig.
● Wo sind die anderen?
Manche
Bändchen sprechen Bände, so etwa eine „Saarländische
Anthologie“, die 1958, also genau zwischen der
politischen und der wirtschaftlichen Angliederung des Saarlandes an die
Bundesrepublik Deutschland, im West-Ost-Verlag in Saarbrücken erschien.
Karl August Schleiden hat an dieser Ausgabe maßgeblich mitgearbeitet
[4]. Das Büchlein stellt „Unsere Autoren“
vor, sprich: die saarländischen Autoren zur Zeit der Autonomie. Es sind
insgesamt sieben, und es
lohnt sich, einmal nachzusehen, was aus ihnen geworden ist:
In
dieser Liste von Autoren aus der erwähnten Anthologie fehlen noch
einige, die für die Jahre 1945 bis 1959 auch erwähnenswert sind:
-
Zwei
Autoren ragen heraus, weil sie im Schriftstellerverband wichtigeVoraussetzungen für schriftstellerische Tätigkeiten schufen:
Karl
Christian Müller und Hans Bernhard Schiff.
-
Karl-Heinz
Bolay und Wolfgang Durben verzogen sich nach Skandinavien und gingen dort
Brotberufen nach.
-
Über Ernst Meeß
haben wir außer dem Eintrag in der Anthologie nur die oben erwähnten
Veröffentlichungen gefunden. In anderen Antholgien oder
Literaturführern erscheint er nicht.
-
Werner
Reinert und Alfred Petto waren Beamte, die nebenher mehr als manierliche
Literatur fabrizierten.
-
Johannes
Kühn, ein krankheitsbedingter Außenseiter, beginnt mit Lyrik und braucht
tatkräftige Hilfe anderer und viele Jahre, um zu reüssieren.
Karl Christian Müller
Er
wurde 1900 in Saarlouis geboren, studierte in Tübingen, München, Bonn
und Köln Philosophie und Germanistik, pro- movierte bei Ernst Bertram
und war lange
im saarländischen Schuldienst tätig. Er war Mitbegründer des „Verbandes
saarländischer Autoren“ und dessen Vorsitzender von 1951 bis 1964.
Müller galt als eine wichtige Persönlichkeit in der saarländischen
Nachkriegsliteratur. Neben seinem
Brotberuf schrieb er Gedichte und Erzählungen. Seine Lyrik orientierte
sich
an Stefan George. Karl Christian Müller, der auch unter dem Pseudonym Teut Ansolt veröffentlichte, starb 1975. (Foto: Landesarchiv Saarbrücken)
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Hans-Bernhard Schiff
wurde 1915 in Berlin geboren. Er war ein
Großcousin des Reichsaußenministers Walter Rathenau. In der Nazi-Zeit
musste er Deutschland mit seiner Familie verlassen. Als Jean Bernard Schiff kam er 1947 ins Saar- land und wurde 1948 Literaturredakteur von Radio Saarbrücken.
1956 tauchte beim Rundfunk ein Flugblatt auf mit der Überschrift „Der
Jud’ muss weg!“ Daraufhin verließ Schiff den Halberg und wurde Lehrer.
Seine Arbeitsgebieteals
Autor waren vielfältig. Lange Jahre war er Vorsitzender des
Landesverbandes Saar im Verband Deutscher Schriftsteller. Nach
Hans-Bernhard Schiff ist ein
Literaturpreis benannt. 1996 starb er in Saarbrücken.
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Das
Bild links zeigt Jean B. Schiff als Leiter des Bereiches Literatur und
kulturelles Europa bei Radio Saarbrücken Anfang der 50er-Jahre (Foto: SR); auf dem rechten Bild sehen wir Schiff in späterer Zeit.
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Karl-Heinz Bolay
Karl-Heinz Bolay kam 1914 in Saarbrücken zur Welt. Er studierte Sprachen
und Literaturgeschichte, arbeitete als Bankbeamter und im Zweiten Weltkrieg als Journalist. Danach lebte er in Celle.
Aus Protest gegen die deutsche Wiederbewaffnung wanderte er 1951 nach Helsinki
aus, wo er bis 1957 als Diplom-Bibliothekar lebte und arbeitete. Er
übersetzte einen finnischen Roman ins Deutsche ("Kreuze
in Karelien" von Voinö Linna) und schrieb selbst einen Roman in
finnischer Sprache (ins Deutsche übersetzter Titel: "Und die Sonne
stand still"). Der in Helsinki erschienene Band "Aber die Stunde
bleibt" enthält Gedichte Bolays in Deutsch, Finnisch und Schwedisch.
Der Saarbrücker Minervaverlag brachte den Gedichtband "Der rote Granit"
heraus, und in Stuttgart erschien 1959 sein Buch "Finnen und
Finnländer", in dem er das finnische Wesen und
die finnische Natur beschreibt. Karl-Heinz Bolay starb 1993 in Schweden.
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Wolfgang Durben
Wolfgang Durben kam 1933 in Koblenz zur Welt, studierte in
Saarbrücken und Paris. 1958 lehrte er als Lektor an der Schwedischen
Volksuniversität in Norrköping. Seit 1967 wohnt er
in Beckingen. Er unterrichtete in
Frankreich und Schweden und war bis 1982 ebenfalls im deutschen Schuldienst.
Er publiziert seit Mitte der 50er Jahre
vor allem Lyrik (auf Deutsch und Französisch) und Kurzprosa.
Ernst Meeß
Geboren
wurde er 1918 in Dudweiler, war Pilot im Krieg und studierte nach dem
Krieg in Mainz Medizin, Germanistik und Kunstgeschichte. Als sein Vater
starb, brach er sein Studium ab, ließ sich zum Industriekaufmann
ausbilden und arbeitete später als Prokurist einer Brauerei. Er
veröffentlichte Gedichte, Kurzgeschichten und ein Hörspiel. Zwei
Bände von ihm scheinen erwähnenswert: "Überfahrt: 3 Novellen zwischen
gestern und morgen." Colmar 1948, und "Zu suchen Gott und zu begreifen
mich: Hundert Gedichte aus fünfzig Jahren". Berlin 1993. In der
Zeitschrift Saar-Heimat (Nr. 1/1957) veröffentlichte er einen kurzen Aufsatz anlässlich der Verleihung des Kunstpreises an den Komponisten Heinrich Konietzky.
Werner Reinert
Er wurde 1922 in Saarbrücken geboren, studierte Germanistik
und Philosophie, promovierte in Freiburg und wurde Soldat in Russland und
Italien. Seine Kriegserfahrungen und seine Kontakte zur Widerstandsbewegung
prägten sein weiteres Leben. Von 1950 bis 1953 war er Referent im
Kultusministerium in Saarbrücken und danach - bis 1956 - Presse-Attaché in
Paris. Danach war Reinert Regierungsdirektor in der Staatskanzlei, zog nach seiner Pensionierung 1977 nach Südfrankreich und
1983 nach Marokko. Erst 1980 erschien sein Roman "Der Dicke muss weg", den er bereits 1956 im Manuskript fertiggestellt hatte und für dessen späte Veröffentlichung sich Prof. Dr. Klaus-Michael Mallmann einsetzte.
Reinert schildert darin die Ereignisse vor und während der
Volksabstimmung 1955 aus
der Sicht
eines Journalisten, der die Annahme des Saarstatuts befürwortete. In
den sechziger Jahren schrieb Reinert auch Reden für den damaligen
Ministerpräsidenten Dr. Franz-Josef Röder. Beide hatten aber ein sehr gespanntes Verhältnis zueinander. Werner Reinert starb 1987 in Berlin.
Alfred Petto
1902
wurde er in Malstatt geboren. Er war
Rechtspfleger am Amtsgericht Saarbrücken und arbeitete nebenberuflich
als Schriftsteller. Er begann schon früh, kleinere Erzählungern aus
seiner Saarheimat zu schreiben. 1936 erschien sein erster Roman „Das verborgene Leben". Es folgten Hörspiele,
Funkerzählungern und Romane. Zu Kriegsbeginn erschien seine Erzählung „Die grauen Berge“.
1943-1944 war er Kriegsteilnehmer in Italien. Danach amerikanische
Kriegsgefangenschaft. In der Zeit des
Saarstaates schrieb er „Und die Erde gibt das Brot“ (1951), „An der Saar zu Haus“ (1954), „Sie nahmen ihn nicht auf" (1955)
und „Das Mädchen auf der Piazza“ (1958), sein wichtigstes Werk. In der Sendereihe "Von Mensch zu Mensch" von Radio Saarbrücken
konnte man ihn in den frühen 50er-Jahren mit einem wöchentlichen Vortrag hören. 1962 starb Alfred Petto in Homburg. (Foto: © Walter Petto)
Johannes Kühn
Er ist 1934 in dem Tholeyer Ortsteil Bergweiler geboren. Von 1956 bis 1961 hörte er Germanistik als Gasthörer an den
Universitäten von Saarbrücken und Freiburg im
Breisgau. Aus dem Jahr 1957 stammt eine Gedichtsammlung von Johannes Kühn unter dem Titel "Vieles will Klang, immer wieder". Von
1963 bis 1973 arbeitete er als Hilfsarbeiter in derTiefbaufirma seines
Bruders; nebenbei schrieb er Dramen, Gedichte und Märchen,
denen größerer Erfolg jedoch zunächst verwehrt blieb. Dem hartnäckigen
Bemühen
des befreundeten Ehepaares Irmgard und Benno Rech und des
saarländischen
Schriftstellers Ludwig Harig ist
es zu verdanken, dass in dieser Zeit das dichterische Werk Kühns aufgearbeitet
und zumindest stückweise herausgegeben wird. Die Ausgaben der Gedichte in den
späten 1980er Jahren erregten ein breites positives Echo. Seit 1992 schreibt er wieder regelmäßig Gedichte. (Link: Johannes Kühn auf der Homepage der Gemeinde Tholey).
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[4] Schleiden, Karl-August [Mitarb.]: Saarländische Anthologie. West-Ost-Verlag. Saarbrücken, 1958.
Erst in den sechziger Jahren setzt ein großer Wandel
ein.
Hans-Bernhard Schiff löst Karl
Christian Müller im Vorsitz des Schriftstellerverbandes ab. Ludwig Harig schreibt 1963 die „Reise nach
Bordeaux“, Werner Reinert 1965 die Textcollage „Knaut“, Johannes Kühn wird
immer bekannter - und dazu kommen zahlreiche andere saarländische Autoren,teilweise mit überregionaler Geltung.
Aber warum war das in den fünfziger Jahren nicht möglich?
● Es bietet sich folgende Hypothese an:
Gehen wir mal von der idealtypischen Dreiteilung
der Kultur in Literatur, Musik und Kunst aus. Der Saarstaat startete mit dem
französischen Anspruch der „pénétration culturelle“. Zuerst stand die
„Französisierung“ im Vordergrund, danach die „Regionalisierung“. Diese war
allerdings suspekt, weil sie sich zur Zeit des Dritten Reiches für
nationalistische Zwecke missbrauchen ließ.
Bei der Musik und der Kunst war das einfacher, denn die Sprache spielt
da nur indirekt eine Rolle. Deshalb wurden beide gefördert. Man denke etwa an
die Kunsthochschule und die Musikhochschule. In der Literatur aber standen über
allen die für die „pro-deutschen Parteien“ politisch umstrittenen Johannes
Kirschweng und Gustav Regler. Die anderen bewegten sich in einer
strukturbedingten Diaspora, allerdings mit sehr guten Ansätzen, die sich aber erst
in den folgenden Jahrzehnten entwickeln konnten.
Karl August Schleiden schreibt in einer
Untersuchung über das kulturelle Leben im autonomen Saarland (in der die
Literatur so gut wie überhaupt nicht vorkommt) eine abschließende Passage über
das Referendum am 23. Oktober 1955:
„…so trat im Wahlkampf wieder ein völlig neues und
leider recht altes Motiv auf: Kulturfeindlichkeit. Ähnliche Kräfte wie in den
zwanziger Jahren und wie 1936 traten auf den Plan, bekämpften die Kunstschule, die
Moderne Galerie, den Luxus bei der Ausstattung der Behördenbauten, die von den
Franzosen gegründete Universität und schließlich jeden französischen
Einfluss. Es bedurfte des Eingreifens
von Bundespräsident Heuss, um seine „Parteifreunde“ an der Saar und deren
Partner von Akten der Kulturbarbarei zurückzuhalten. Einsichtsvolle Politiker
der neuen Regierung konnten die Schließung der Universität abwenden, die Kunstschule wurde aber wenige Jahre nach
dem Anschluss an die Bundesrepublik unter dem Vorwand von Einsparungen fast bis
zur Unkenntlichkeit amputiert. Das kulturelle Klima hatte sich spürbar
verschlechtert.“ [5]
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[5] Karl August Schleiden: Das Klima war den Künsten
günstig, Kulturelles Leben im autonomen Saarland, in: Klaus-Michael Mallmann, Gerhard Paul, Ralph Schock, Reinhard
Klimmt (Hrsg.): - Richtig daheim waren wir nie, Entdeckungsreisen ins Saarrevier
1815-1955 (Berlin/Bonn 1987), S. 243.
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