Vorwort:
Das Internet ermöglicht uns den elektronischen Zugang zum "World Wide Web" (weltweiten Netz). Dadurch ist es möglich, dass unsere Saar-Nostalgie.de auch zahlreiche Leser in aller Welt hat. Und viele von ihnen sind sogenannte "Exil-Saarländer": Sie sind zwar im Saarland aufgewachsen, aber später in andere Gegenden, Länder und Kontinente
ausgewandert.
Jeder von ihnen mag die Tatsache, dem Saarland den Rücken gekehrt zu haben, anders empfinden. Kurt Diedrich ist gar nicht so sehr weit weg gezogen, aber er vermisst "sein Saarland" sehr. Das Thema dieses Beitrags bezieht sich nicht speziell auf die frühen Jahre des Saarlandes, schließt sie aber mit ein.
Dem Saarländer wird eine gewisse Heimatverbundenheit nachgesagt. Dies scheint, soweit ich es beurteilen kann, zu stimmen: Fast all meine alten
Schulfreunde, Studienkollegen und Bekannten sind im Saarland geblieben, lassen
es sich gut gehen, genießen die saarländische Geselligkeit, die prachtvolle
Landschaft und das erstklassige Essen. Die meisten weigerten sich trotz
lukrativer Job-Angebote geradezu, ihre Heimat zu verlassen und verfügen dennoch,
allen Befürchtungen zum Trotz, über ein geregeltes Einkommen.
Nach vielen Jahren im „Exil“ behaupte ich, dass sie instinktiv
richtig gehandelt haben: Als ich nach dem Abschluss meines Studiums das
Saarland verließ, stand ein interessanter Beruf mit angemessener Entlohnung am
oberen Ende meiner Prioritätenliste, was durchaus nicht verwerflich ist. Dass
ich solch einen Job auf Grund meiner Ausbildung nicht im Saarland bekommen
würde, war mir bereits seit langem klar - doch als ich ihn schließlich, weit
weg von zuhause, fand und mit einem gemieteten, kleinen Umzugswagen die Reise
ins Rheinland antrat, war mir noch nicht im Entferntesten bewusst, was ich
damit aufgeben würde.
Am Anfang war ich durch die interessante, neue Tätigkeit in einem
Verlagshaus und die vielen netten neuen Kolleginnen und Kollegen, zu denen ich
ein gutes Verhältnis hatte, so abgelenkt, dass ich nur wenig Gedanken an meine
Heimat verschwendete. Es dauerte jedoch nur ein paar Monate, bis ich zusehends
begann, den abendlichen Tratsch mit Freunden oder den Plausch in saarländischem
Dialekt mit Bekannten, denen man beim
Einkaufen auf der Straße begegnet, zu vermissen. Mir fehlten die Grillfeste
meines alten Sportvereins, die Wanderungen mit Freunden im schönen Bliesgau und
die dabei oft entstehenden, spontanen und spannenden Diskussionen über Gott und
die Welt – und noch vieles mehr. Ich hatte gehofft, als kontaktfreudiger Mensch
in meiner neuen Umgebung schnell wieder einen vergleichbaren, großen
Freundeskreis aufbauen zu können. Dabei hatte ich jedoch nicht berücksichtigt,
dass der zurückgelassene Freundeskreis nicht innerhalb kurzer Zeit „aus dem
Boden gestampft“ worden, sondern im Laufe von vielen Jahren langsam und fest
gewachsen war. Ich musste erkennen, dass man die Freunde fürs Leben im
Sandkasten, am Gymnasium und eventuell noch an der Uni kennen lernt, aber nur
noch selten im Berufsleben. Natürlich kann man auch mit einem Kollegen gut
befreundet sein, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass nach einem
beruflichen Wechsel, sei es der eigene oder derjenige des Kollegen, auch die
Freundschaft sehr schnell wieder abkühlt. Solch enge Freunde wie diejenigen aus
dem Saarland hatte ich auch nach über zwei Jahrzehnten in der neuen Heimat
nicht gefunden.
Was hinzu kommt, ist die Tatsache, dass man sich in der Fremde an
keinem Ort heimisch fühlt. Dies mag wie eine Binsenweisheit klingen – es
bedeutet jedoch konkret, dass man an seinem Wohnort auch nach längerer Zeit
durch die Haupt-Einkaufsstraße schlendern kann, ohne jemanden zu treffen, den
man kennt. Es bedeutet, dass man seinen Wohnort nicht danach auswählt, ob
eventuell auch noch Freunde oder Verwandte in der Nähe wohnen, sondern nach der
Schönheit der Umgebung und der verkehrsgünstigsten Lage. Dies hat bei mir dazu
geführt, dass ich im Laufe von mehr als zwei Jahrzehnten acht Mal innerhalb der
Region, in der ich lebe, aus reiner „Experimentierfreude“ den Wohnort
gewechselt habe. Vielleicht werden mich manche angesichts dieser Unabhängigkeit
beneiden, aber ich finde, dass auch ein häufiger Umzug nicht gerade dazu dient,
soziale Kontakte zu vertiefen. Ich muss allerdings zugeben, dass ich mich dank
dieser häufigen Umzüge besser als manch Einheimischer in der weiträumigen
Umgebung von Aachen auskenne.
Was mir im Nachhinein auffällt, ist die Tatsache, dass ich mich in
den ersten Jahren in der fremden Umgebung sogar regelrecht geweigert habe, Neues
zu akzeptieren, obwohl ich mich ansonsten für sehr aufgeschlossen halte: Die regional
sehr unterschiedlichen, rheinischen Mundart-Variationen klangen befremdlich und
fast abstoßend in meinen Ohren. Straßen-, Orts- und Familiennamen wirkten auf
völlig irrationale Weise bedrückend auf mich, und sogar die Geografie in Form
der Anordnung von Tälern, Ebenen, Bergen und Hügeln machte auf mich einen
„ungemütlichen“ Eindruck, obwohl ich es nicht näher beschreiben konnte. Dabei
verreiste ich bis dahin oft und gerne und war gegenüber jeder neuen Region, die
ich besuchte, sehr aufgeschlossen. Doch diesmal war es etwas völlig anderes:
Eine Reise ohne - oder zumindest mit ungewisser - Rückkehr.
Ein Punkt meiner Unzufriedenheit war in der Tat jedoch völlig
berechtigt: Da der Saarländer (und ich in ganz besonderer Weise) im Gegensatz zu
den Bewohnern der sich im Norden anschließenden Bundesländer ganz besonders
viel Wert auf die Qualität und den Geschmack des Essens legt, musste ich am
Anfang so manch kulinarisches Schock-Erlebnis verkraften, bevor ich mich dazu
entschloss, nur noch selber zu kochen oder mich nur noch von Menschen meines
Vertrauens zum Essen einladen zu lassen: Vergeblich versuchte ich zum Beispiel an
einem meiner ersten Abende in Aachen, dem Verkäufer an einer der zahlreich
vorhandenen „Frittenbuden“ klar zu machen, wonach mir der Sinn stand: Eine
dunkelbraun gebratene Wurst mit Weck (das Wort „Weck“ ist im Rheinland übrigens
völlig unbekannt) und Senf. Die Lieblingsspeise eines Nordrheinwestfalen bestehe,
so wurde ich belehrt, aus „Fritten“, über die eine Mischung aus Mayonnaise und
Tomatenketchup gegossen wird. Das Ganze zerfließt recht schnell zu einem
unappetitlich aussehenden, rosa Brei, in welchem die Pommes-Frites aufweichen
und eine matschige Konsistenz annehmen. Diese bei mir höchstens Brechreiz
hervorrufende „Spezialität“ der Region von Köln bis zum Nordrand des
Ruhrgebietes wird im Volksmund wegen der rot-weißen Farben von Ketchup und Mayo
auch gerne „Pommes-Schranke“ genannt.
Saarländischen Besuchern des Rheinlandes sei außerdem dringend
geraten, ihre Vorfreude angesichts der Einladung zu einem Essen nicht allzu
deutlich zu zeigen oder gar über das bevorstehende Essen, wie im Saarland
üblich, zu diskutieren: In welcher Variante der Gastgeber es zum Beispiel
zubereiten zu gedenke und welchen Wein er zu dem Gericht bevorzuge. Als ich anlässlich
einer Einladung zum Essen die Gastgeberin neugierig fragte, auf was ich mich
denn freuen dürfe, bekam ich barsch zur Antwort: „Das wirst Du schon sehen.
Hast Du Angst, ich könne nicht kochen?“ Dass mir hier im Bekannten- und
Kollegenkreis der Ruf eines „saarländischen Essens-Meckerers“ vorauseilt, betrachte
ich mittlerweile durchaus als Kompliment.
Doch dies nur am Rande: Zu Beginn meiner „Wende“ war mir ein
funktionierendes, soziales Umfeld ziemlich „wurschd“. Heut denke ich anders
darüber: Ich vermisse es, mal eben um die Ecke zu einem kleinen Plausch zu
einem Bekannten oder Verwandten spazieren (oder ein paar Kilometer fahren) zu
können, bei einem Straßenfest guten Freunden zu begegnen oder mich mit meiner
Clique zum Feiern zu treffen – ganz zu schweigen von den Fällen, in denen man
Hilfe von guten Freunden oder Verwandten gebrauchen könnte – sei es in Form von
Trost und Rat oder in Form von Muskelkraft.
Natürlich habe ich den Kontakt zu meinen Freunden im Saarland nicht
verloren, aber durch die Tatsache, dass ich auf Grund der Entfernung nicht mehr
in den Alltag und damit auch nicht mehr in die „Banalitäten“ der anderen
eingebunden war, drifteten die Beziehungen zwangsweise auseinander, da es an
gemeinsamen Erlebnissen fehlte, über die man sich austauschen konnte. Die Kommunikation
wurde im Laufe der Jahre immer spärlicher und versiegte in einigen Fällen sogar
ganz.
Am Anfang gab es eine Zeit, in der ich fast an jedem zweiten
Wochenende mit meinem Wagen auf abenteuerlichen Abkürzungen quer durch die
Eifel gefahren bin, um meine Freizeit, ganz wie früher, mit alten Freunden zu
verbringen. Da ich mir im Saarland jedoch keine Zweitwohnung leisten konnte,
war ich gezwungen, bei meinen Besuchen in den Wohnzimmern verschiedener Freunde
zu übernachten. Um den Groll ihrer darüber nicht sehr erfreuten Ehepartnerinnen
bzw. Lebensgefährtinnen nicht weiter zu entfachen, gab ich dieses Unterfangen
nach einer Weile wieder auf. Da auch meine Eltern zu diesem Zeitpunkt ihr
Domizil schon lange in die Pfalz verlagert hatten und Übernachtungen in Hotels
nicht gerade billig sind, beschränkten sich meine Aufenthalte in der Heimat
schon bald auf wenige Male pro Jahr. Ich habe es dabei übrigens als recht
kränkend empfunden, in der eigenen Heimatstadt im Hotel übernachten zu müssen.
Den „tollen Job“ (er war ja die Ursache meines Weggehens) verlor ich übrigens
aus wirtschaftlichen Gründen schuldlos nach sechs Jahren wieder. Doch wie das Leben
so spielt: Am selben Tag, als ich davon erfuhr, eröffnete mir meine damalige Partnerin,
dass ich Vater werden würde. So beschloss ich, zu bleiben und eine Familie zu
gründen. Eine Rückkehr in die Heimat war mir offensichtlich nicht gegönnt, da
die Mutter meiner Kinder nicht zu einem Umzug bereit war.
Sicher gibt es viele, die es nicht erwarten können, „hinaus in die
Welt“ zu gehen, um Karriere zu machen und dort vielleicht sogar sehr glücklich
werden. Es sei ihnen gegönnt. All denjenigen, die irgendwann vor solch einer
Entscheidung stehen werden, soll dieser Beitrag als kleine Hilfe dienen. Wenn
sie sehr am Saarland hängen, werden sie ahnen, was eventuell auf sie zukommen
könnte, aber nicht muss: Mit dem Spruch „Jeder Jeck is anders“ beschreibt der
Rheinländer sehr treffend, dass sich meine Erfahrungen nicht auf jeden Menschen
übertragen lassen. Dennoch sollte sich jeder die Frage stellen: Kann ein Job so
gut sein, dass ich meinen gewachsenen Freundeskreis dafür aufgeben darf? Vom
Verzicht auf das gute saarländische Essen natürlich ganz zu schweigen.
Kurt Diedrich, Aachen
Diese Seite wurde
erstellt am 29.12.2011 und zuletzt bearbeitet am 21.12.2018.
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