Ursula Meier geb. Weiand, wurde 1934 geboren und lebte zunächst mit ihren Eltern in Türkismühle. Sie berichtet hier über einige Erlebnisse aus ihrer Kindheit. Ursula Weiand ist am 8.2.2018 in Trier verstorben.
1) Die Fahrt ins Ungewisse
(von Ursula Meier geb. Weiand, im Juni 2008)
Einige Zeit nach Beendigung des 2. Weltkrieges wurden auch in unserer Gegend von der französischen Besatzungsmacht so genannte Kommandanturen
eingerichtet. Eine solche gab es auch in Nohfelden. Eines Tages wurde mein
Vater vom französischen Kommandanten nach Nohfelden beordert. Eine Begründung
hierfür wurde nicht genannt. Es war klar, dass man einer solchen Anordnung
skeptisch und ängstlich gegenüberstand; schlimmstenfalls konnte – aus welchen
Gründen auch immer – eine Verhaftung drohen. Mit ähnlichen Gedanken im
Hinterkopf packte mein Vater einiges zusammen (Rasierzeug, Zahnbürste usw.) und
fuhr mit dem Fahrrad zur Kommandantur nach Nohfelden.
Dort wartete tatsächlich eine echte Überraschung auf ihn.
Der Kommandant empfing meinen Vater wider Erwarten sehr freundlich und fragte
ihn, ob er richtig informiert sei, dass er ein guter „Tailleur “ (Schneider)
sei. Er wollte meinen Vater darum bitten, für ihn und seine Frau zu schneidern.
Wie man sich wohl sehr gut vorstellen kann, fiel meinem
Vater ein zentnerschwerer Stein vom Herzen. Natürlich war er bereit, auch für
den französischen Kommandanten zu arbeiten.
Im Laufe der Zeit veränderte sich die Skepsis gegenüber den
„Besatzern“ zwangsläufig in ein freundliches Kundenverhältnis, denn die
Franzosen haben sehr häufig die Dienste meines Vaters in Anspruch genommen und
waren mit seiner Arbeit äußerst zufrieden.
2) Gute Reise (von Ursula Meier geb. Weiand, im März 2000)
Nach dem 2. Weltkrieg waren
zahlreiche französische Soldaten und Zöllner in Türkismühle stationiert. Da mein Vater
seine Schneiderei bald nach Beendigung des Krieges wieder betreiben konnte,
hatte er natürlich auch viele Franzosen als Kunden.
Ich besuchte zur damaligen
Zeit das Mädchenrealgymnasium in St. Wendel und lernte im 1. oder 2. Jahr
Französisch. Zu meinem Leidwesen war mein Vater bestrebt, mir immer wieder Gelegenheit zu geben,
das theoretisch Erlernte in die Praxis umzusetzen. Wenn französische Kunden
auftauchten, sollte ich zeigen, ob und was ich schon “parlieren“ konnte. Dazu
muss ich noch erwähnen, dass die
Franzosen stets erfreut waren, wenn ich als 11 bis12-jähriges Kind
versuchte, mich mit ihnen in ihrer Muttersprache zu unterhalten.
So begab es sich eines Tages,
dass ein Kunde mir erzählte, er fahre demnächst in Urlaub. Ich wollte beweisen, dass ich
ihn verstanden hatte, und weil ich auch damals schon höflich war, wollte ich ihm
gute Reise (bon voyage) wünschen. Sehr aufgeregt und nervös verwechselte ich
aber die Vokabeln und wünschte stattdessen “bon bagage“ (gutes Gepäck). Ich bemerkte
sofort meinen Fehler und wäre am liebsten in den Boden versunken. In den
folgenden Tagen hatte mein Vater keine Chance mehr, mich vorzuführen.
3) Die fast
ausgefallene
Geburtstagsfeier (von Ursula Meier geb. Weiand, im Juli 2000)
Nach
den
letzten
gefährlichen
Kriegsmonaten
mit
immer
drohenden
Fliegerangriffen
in Türkismühle
freute
man
sich,
dass
man
sich
endlich
wieder
sorglos
im
Freien
bewegen
konnte.
So
war
es
auch
für
mich
ein
Vergnügen,
mit
meiner
Spielkameradin
Rosemarie S.
und
deren
Mutter
durch
die
Wiesen
zu
laufen,
um
Löwenzahn
zu
stechen.
Familie
S. wohnte
damals
im
letzten
Haus
der
Söterstraße, kurz
vor
dem
Holzhauserhof.
Gegenüber auf
der
anderen
Straßenseite
befand
sich
während
des
Krieges
das
Reichsarbeitsdienstlager
mit
zahlreichen
Holzbaracken,
die
unmittelbar
nach
Kriegsende
sehr
schnell
abgetragen
wurden
und
neue
Besitzer
fanden. Ansonsten
war
das
Gelände
noch
nicht saniert;
die
Betonsockel
der
früheren
Baracken
waren
schon
von
Unkraut
überwuchert
und
bemoost,
und
es
lag
so
allerlei
herum.
Bei
unserem
oben
erwähnten
Streifzug
durch die
Wiesen
kamen
wir
auch
in
den
Bereich
des
ehemaligen
Lagers.
Neugierig
wurde alles
in Augenschein
genommen.
Man
konnte
noch
sehr
gut
die
Grundrisse
der
einzelnen Baracken
erkennen.
An
einer
solchen
Stelle
lag
ein
Holzbrett,
das
wie
ein
Steg
von
einer
Seite
zur
anderen wirkte.
Unbekümmert
betrat
ich
dieses
morsche
Brett
und
plumpste
in
eine
zurückgelassene
und
nicht
ausgehobene
Abortgrube.
Ich
steckte
bis
zum
Halse
in
der
dickflüssigen, stinkenden
Brühe,
ohne
Boden
unter
den
Füßen.
Gerade
noch
konnte
ich
mich
mit
den
Händen
am
Rand
der
Grube
festklammern
und
den
Kopf
“über
Wasser
halten.
Ein
durchdringender
Hilfeschrei
schreckte
Rosmarie
und
ihre
Mutter
auf.
Die
beiden
stürzten
herbei
und
mussten
alle
Kraft
aufwenden,
um
mich
aus
der
Kloake
herauszuziehen.
Nach
einer
ersten
gründlichen
Wäsche
bei
Familie
S.
schlich
ich
mich,
immer
noch
stinkend
und
zitternd
vor
Schreck
in
die
damalige
Hauptstraße
2
a
nach
Hause.
Dort
begab
ich
mich
zunächst
auf
die
Toilette,
die
sich
parterre
befand,
und
rief
vor
Angst
winselnd
meine
Mutter.
Von
oben
kommend
bemerkte
sie
schon
im
Treppenhaus,
dass
da
was
nicht
stimmte,
denn
ich
stank
immer
noch
infernalisch.
Ich
beichtete
kleinlaut
mein
Missgeschick.
In
der
ersten
Aufregung
schimpften
meine
Eltern
sehr
und
erklärten
spontan,
dass
die
in
einigen
Tagen
für
mich
anstehende
Geburtstagsfeier
zur
Strafe
natürlich
ausfalle. Am
nächsten
Tag
aber,
nachdem
sich
meine
Eltern
darüber
klar
geworden
waren,
in
welcher
tödlichen
Gefahr
ich
mich
befunden
hatte,
wurde
die
zunächst
verhängte
Strafe
aufgehoben.
Mein
Geburtstag
wurde,
soweit
es
in
der
damaligen
Zeit
überhaupt
möglich
war,
besonders
froh
und
dankbar
gefeiert
.
Wie
so
oft
im
Leben,
wurde
die
Unfallquelle
im
früheren
Arbeitsdienstlager
erst
beseitigt,
nachdem
“das
Kind
in
den
Brunnen
gefallen
war“.
Es
war
in
den
ersten
Maitagen
des
Jahres
1946.
4) Sparen für Palmsonntag 1948 (von Ursula Meier geb. Weiand, im September 2009)
Die Zeit nach dem 2.
Weltkrieg war von großen Entbehrungen geprägt, insbesondere waren Lebensmittel jeglicher
Art äußerst knapp. Alles Mögliche war rationiert. Kaufen konnte man nur, was
durch die amtlich ausgegebenen Lebensmittelkarten pro Person zugebilligt war.
Da ich 1934 geboren bin,
sollte meine Konfirmation am Palmsonntag 1948 stattfinden. Trotz der schlimmen Lage
wollten wir aber für den kleinen Kreis der vorgesehenen Gäste eine schöne Feier
ausrichten. So begann meine Familie bereits im Laufe des Jahres 1947
insbesondere die Lebensmittelkarten für Fleisch zu sparen. Es fiel nicht leicht, über einen langen
Zeitraum hinweg auch noch auf den ohnehin spärlichen Sonntagsbraten zu verzichten.
Aber meiner Mutter gelang es, die ganze Familie immer wieder auf die schöne
“Belohnung“ bei der bevorstehenden Konfirmation zu vertrösten.
Der Palmsonntag rückte näher,
und letztlich waren wir alle stolz,
sooo viele Fleischmarken für
mein Fest gespart zu haben. Im Endeffekt war allerdings das ganze Sparen umsonst, denn einige Tage vor
dem Palmsonntag fielen die Lebensmittelkarten im Saarland weg, und man konnte
so viel Fleisch kaufen wie man wollte!
Geschadet hat uns diese
vorübergehende Askese übrigens nicht, sie diente vielmehr, vor allem für uns Kinder, als
Lehre fürs Leben, nämlich dass auf schlechte Zeiten auch wieder gute Zeiten
folgen können.
5) Mühsame Pennälerzeit nach dem 2. Weltkrieg (von Ursula Meier geb. Weiand, im Oktober 2009)
Ich war sehr glücklich, als
ich 1954 endlich mein Abiturzeugnis in den Händen hielt. Durch die Kriegswirren
bedingt brauchte ich dazu 10 Jahre am Mädchenrealgymnasium in St. Wendel,
obwohl ich keine Klasse wiederholen musste. Ich begann dort 1944, leider musste
die Schule Ende 1944 wegen der häufigen Fliegerangriffe geschlossen werden.
Im Sommer/Herbst 1945 wurde
der Unterricht wieder aufgenommen. Wir mussten aber erneut in der Sexta
anfangen.
Die ersten Jahre waren sowohl
für die zusammengeschrumpfte Lehrerschaft als auch für uns Schüler sehr mühsam:
Wir hatten keine Lehrmittel (außer dem Louis Marchand, einem franz. Lehrbuch),
keine normalen Hefte, nur zusammengesuchtes Papier, kaum Schreibstifte oder
Füller usw. Dafür hatten wir Hunger, und im Winter saßen wir wegen
Heizmaterialmangels mit Mänteln und Handschuhen in der Klasse und zitterten uns
warm.
Unter diesen Umständen
mussten wir uns von der Sexta an u.a. mit Latein und Französisch herumplagen.
Im Laufe der folgenden Jahre ging es in kleinen Schritten zunehmend besser.
Diese Zustände sind
vielleicht auch die Ursache dafür gewesen, dass in der Oberstufe nur noch vier
Schülerinnen von anfangs 44 übrig geblieben waren. Eine Schülerin kam von
auswärts noch zu uns und verstärkte 1951 unsere Klasse auf fünf.
Dann gab es ein großes
Ringen, ob unsere Klasse drei Jahre lang mit fünf Schülerinnen weitergeführt
werden könnte, oder ob wir im Knabengymnasium integriert werden sollten. Dank
des unermüdlichen Einsatzes unserer Lehrer war es möglich, dass wir als
eigenständige Klasse die Oberstufe beim Mädchenrealgymnasium durchlaufen
konnten. Wir bedankten uns dafür bei den Lehrern mit besonderem Eifer. Ich
erinnere mich, dass wir z.B. öfters nachmittags in der Wohnung unserer Deutschlehrerin
freiwillig und über den Stundenplan hinaus Unterricht bekommen haben.
Vor und im Abitur konnten wir
keine Fächer abwählen, so wie es heute üblich ist. Wir wussten auch nicht, in
welchen Fächern wir im Mündlichen geprüft würden. So musste die gesamte Palette vorrätig
sein. Obwohl die Nerven zwangsläufig blank lagen, war die Freude bei uns groß,
als wir alle problemlos das Abi geschafft hatten.
Siehe zum Thema Schule auch unsere Seite Schule in der Saarstaatzeit.
Eine weitere Geschichte von Ursula Meier (zum Thema "Zoll" aus dem Jahr 1955) finden Sie auf unserer Seite Geschichten zur Grenze.
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