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Straßenbahnen 3:

 

 

Die Neunkircher Straßenbahn (von Karl Presser und Rainer Freyer)

 

 


Unsere weiteren Straßenbahnseiten:  1: Allgemeine Einführung    2: Saarbrücken   3: Neunkirchen   4: Völklingen   5: Saarlouis


 

Eine elektrische Straßenbahn kam vom 13. September 1907 an im innerstädtischen Verkehr der Stadt Neunkirchen sowie bei der Anbindung von Vororten wie Spiesen und  Elversberg oder Wiebelskirchen zum Einsatz. Eine Teilstrecke, die in der Innenstadt über die stark steigende Hüttenbergstraße führte, war mit mehr als 11 % die steilste Straßenbahnstrecke in ganz Deutschland. Deswegen verzichtete man sehr lange darauf, die Straßenbahnen in Neunkirchen durch Omnibusse zu ersetzen, so wie es damals in zahlreichen anderen Städten geschah.

 

Foto rechts: Ein Straßenbahn- wagen quält sich in den 50er-Jahren im Schritttempo die steile Hüttenbergstraße hinauf; hier ist er gerade etwa in Höhe der 'Alten Apotheke' zu sehen.

Auf der rechten Seite des Bildes erkennt man das Schild für die Haltestelle Vogelstraße. Dieser Haltepunkt war nur bergabwärts eingerichtet worden. Es war eine so genannte Zwangshaltestelle, d.h., die Bahnen mussten dort auch dann für eine kurze Zeit zum Stillstand gebracht werden, wenn niemand ein- oder aussteigen wollte. Durch diese Sicherheitsmaßnahme sollte vermieden werden, dass die bergabwärts fahrenden Wagen zu schnell wurden. (Foto: Rainer Freyer)

 

Neunkirchen war die dritte Gemeinde im Saarland, die einen öffentlichen Nahverkehr einführte. Nachdem bereits 1899 in Saarbrücken die  Entscheidung für eine elektrische Straßenbahn getroffen wurde, war klar, dass in Neunkirchen ebenfalls dieses neuartige Verkehrsmittel eingeführt werden sollte. Der Sachverhalt war allerdings deswegen relativ kompliziert, weil die Gemeinde zugunsten eines eigenen neuen Gaswerks auf die Erzeugung elektrischer Energie verzichtet hatte. Als aber ab 1904 ein Kraftwerk für die Grube Heinitz gebaut wurde, konnte man sich mit der Bergwerksdirektion schnell über die Konditionen für den Bezug von Strom für die Gemeinde einigen. Eine elektrische Straßenbahn galt damals als ein attraktiver Großverbraucher.

Der Gemeinderat beschloss im April 1906, die Bahn von der Scheib (Haus Bach) bis nach Wiebelskirchen zum Hangarder Weg zu errichten und zu betreiben. Die Bahn sollte mit der Regelspurweite von 1435 mm gebaut werden. Vom Bau einer weiteren Linie nach Heinitz nahm die Gemeinde so lange Abstand, wie die ursprüngliche Linie bezuschusst werden musste. Dies war eine vorausschauende und für Neunkirchen vorteilhafte Lösung. Als Standort für die Stromversorgungsanlage wählte man die noch zu errichtende Wagenhalle an der Schubertstraße. Sie wurde durch eine 10-Kilovolt-Leitung vom Kraftwerk Heinitz aus versorgt.

Die Strecke der neuen Bahn führte auch über den Hüttenberg, den man mit reinem Reibungsantrieb bewältigen konnte, obwohl er an seiner steilsten Stelle mit der Steigung von etwas mehr als 11% den höchsten Wert für diese Antriebsart in Europa aufwies. Gefährlich war vor allen Dingen aber die Talfahrt. Zur Begrenzung des Tempos war deshalb ein Zwangshalt in Höhe der Vogelstraße vorgeschrieben (das Haltestellen- schild ist in obigem Foto ganz rechts zu sehen). Außerdem wurde die Höchstgeschwindigkeit im gesamten Netz auf 20 km/h beschränkt; es gab damals allerdings noch keine Tempoanzeigen in den Triebwagen.

Der fahrplanmäßige Betrieb begann am 13. September 1907, und bereits sechs Tage später kam es zu einem ersten schweren Unfall am Hüttenberg. Ein zweiter Triebwagen fuhr gleichzeitig in Gegenrichtung auf der eingleisigen Stecke. Hierdurch fiel die Stromversorgung aus, sodass beide Wagen bergab rollten und kollidierten. Daraufhin installierte man eine Ampel, die allerdings auch keine Sicherheit gegen menschliches Versagen bieten konnte. Es sollte deshalb am Hüttenberg nicht der letzte Unfall aus diesem Grund gewesen sein.

Ein Kuriosum im hügeligen Neunkirchen war, dass zwischen 1917 und 1920 auch Wagen, die von Pferdefuhrwerken der Post stammten, an Straßenbahntriebwagen angehängt wurden. 1922 erhielt Neunkirchen Stadtrechte. 1925 erfolgte die Gründung der Straßen- und Kleinbahn- AG, an der sich der Landkreis mit 40% beteiligte. Im selben Jahr beschloss deren Aufsichtsrat den Bau einer weiteren Strecke; sie führte  über die Saarbrücker Straße über Dechen und Heinitz bis nach Spiesen. Eine weitere Linie wurde 1931 eröffnet; auf ihr konnte man vom Oberschmelzer Weg über Landsweiler-Reden bis zum Sachsenkreuz in Heiligenwald gelangen.

Das gesamte Streckennetz betrug nun rund 20 Kilometer. Dank der Normalspur konnten sogar Güter auf Eisenbahnwagen transportiert werden. Dies geschah ebenfalls im Straßenbahnbetrieb; eine Kleinbahnzulassung existierte nie. Im Jahr 1938 wurde der Name der Gesellschaft  in "Neunkircher Straßenbahn A.G.“ umgeändert.

Nach einem schweren Luftangriff im März 1945 musste der Straßenbahnbetrieb komplett eingestellt werden, aber bereits zwei Monate später konnte die Strecke Stummplatz-Heiligenwald und ab Juli 1945 diejenige vom Hauptbahnhof nach Wiebelskirchen wieder befahren werden. Von 1946 an ging es dann hoch zur Scheib und zum Steinwald. Das Streckennetz stand nun fast wieder in seiner gesamten Länge zur Verfügung. Allerdings konnte man nach wie vor nur zwischen Hauptbahnhof und Scheib zweigleisig fahren. Ansonsten gab es lediglich eingleisige Strecken mit Ausweichgleisen. Auch die Zufahrt zum Depot war eingleisig und darüber hinaus nur aus Richtung Stummplatz zu erreichen.

Der Höhenunterschied zwischen dem tiefstem und dem höchstem Punkt im Neunkirchener Netz betrug 110 Meter. Kritisch war aber nur der untere Abschnitt des Hüttenbergs (siehe Bild links!). Der letzte schwere Unfall auf dieser Steilstrecke geschah 1959. Am 13. August musste der Fahrer eines bergaufwärts fahrenden Straßenbahnwagens kurz vor der Haltestelle Marienkirche hinter einem liegengebliebenen Auto anhalten.

Gegen alle Dienstvorschriften ließ er die Straßenbahn rückwärts rollen, um den PKW zur Räumung der Gleise in eine Seitenstraße einbiegen zu lassen. Es gelang ihm dann aber nicht mehr, den Triebwagen wieder anzuhalten, und dieser rollte mit zunehmender Geschwindigkeit rückwärts den Hüttenberg hinab. Weder der Fahrer noch der Schaffner konnten ihn abbremsen. Mit voller Wucht prallte er im oberen Teil der Stummstraße gegen einen städtischen Omnibus und schob ihn ins Schaufenster des Möbelgeschäfts Rebejautzki. Er rollte weiter und kam erst unten am Stummplatz wieder zum Stehen.

Ein Bergmann und eine Hausfrau fanden den Tod, sie hatten vor dem Schaufenster des Möbelgeschäftes gestanden. Zwei schwer und acht leicht Verletzte waren Fahrgäste der Straßenbahn und des Omnibusses. Dieser war ein Floirat Z10 der Neunkircher Straßenbahn und trug die Werksnummer 12.

Bereits ab 1950 begann in Neunkirchen verstärkt die Umstellung auf Omnibusbetrieb, und ab 1953 fuhren die ersten Trolleybusse auf der Strecke von Landsweiler nach Heiligenwald (siehe unsere Seite Trolleybusse!). Diese war ursprünglich für Scherenstromabnehmer oder Lyrabügel gebaut und damit für lange Zeit die modernste Straßenbahnstrecke. Es dauerte bis 1959, bis sämtliche Triebwagen auf das moderne Scherensystem umgerüstet waren. Am Stummplatz gab es jetzt auch eine elektrisch angetriebene Schienen-Weiche. So konnte das zeitraubende Umstellen durch das Fahrpersonal per Handeisen dort nun endlich entfallen.

Trotz Omnibus und Trolleybus wollte man aber nicht auf die Straßenbahn am Hüttenberg verzichten. Nach dem wirtschaftlichen Anschluss des Saarlandes an die Bundesrepublik im Juli 1959 konnte der Wagenpark durch die Anschaffung von acht Gelenktriebwagen endlich erneuert werden. Die neuen, stark motorisierten Fahrzeuge machten aber auch Investitionen in die Stromversorgung notwendig. In der Kirkeler Straße baute man eine neue Gleichrichterstation. Der Hüttenberg erhielt über dem bergauf führenden Gleis einen zweiten, parallel verlaufenden Fahrdraht. Diese beiden Fahrdrähte konnten mit ihrem engen Abstand die Triebwagen über ihre Scherenstromabnehmer  gleichzeitig speisen.

Ab 1961 kamen in Neunkirchen vierachsige Gelenkwagen der Bauart GT4 aus Stuttgart zum Einsatz, die man eigens für den hiesigen Steil- streckenbetrieb modifiziert hatte. Vom 1. August 1953 bis zum 31. März 1964 wurde der ÖPNV in Neunkirchen durch Oberleitungsbusse  (Obusse) ergänzt. In dieser Zeit war das Straßenbahnnetz auf die etwa 6 km lange Stadtstrecke vom Steinwald bis zum Hauptbahnhof und über eine Abzweigung durch die Wellesweiler Straße zum Depot und zum Schlachthof reduziert. 

Neunkirchen war damit der kleinste Straßenbahnbetrieb der Bundesrepublik. Für einen 10-Minuten-Takt reichten vier Triebwagen völlig aus. Mit ihrer aufwändigen Infrastruktur und den damit verbundenen hohen Kosten war eine Straßenbahn aber eigentlich nicht länger zu vertreten. Sie überlebte jedoch zunächst auch die Trolleybusse, deren Betrieb schon am 31. März 1964 eingestellt wurde.

Die Neunkircher Straßenbahn machte erst am 10. Juni 1978 ihre letzte Fahrt. Für die neu beschafften Triebwagen war ursprünglich eine Abschreibung bis zum Anfang der 80er-Jahre veranschlagt worden.

Die beiden Fotos oben und das folgende Bild zeigen Straßenbahn-Szenen am Hüttenberg. Man erkennt deutlich, welch große Steigung die Bahn hier zu überwinden hatte. Aufgenommen hat diese vier Bilder der bekannte saarländische Pressefotograf Walter Barbian in den 50er-Jahren.  Fotos: Walter Barbian (http://www.saarlandarchiv-walter-barbian.eu)

Die Fahrzeuge

Die Trieb- und Beiwagen der Erstausstattung lieferte 1907 die renommierte Waggonfabrik van der Zypen & Charlier aus Köln-Deutz. Es waren elf Triebwagen, denen 1908 drei Beiwagen folgten. Wie damals üblich, hatten sowohl Trieb- als auch Beiwagen offene Plattformen. Im Inneren der Wagen gab es Bänke entlang jeder Seite. Durch diese Anordnung konnte man 48 Fahrgäste in einem Fahrzeug von 7,3 m Länge befördern. Die Fahrzeuge hatten aufgesetzte so genannte “Laternendächer“ mit ebenfalls aufgesetztem Einrollen-Stangen-Stromabnehmer.
 
Die elektrische Ausrüstung stammte von der AEG. Gemäß damaligem Standard waren die zweimotorigen Zweiachser für Betrieb in beide Fahrtrichtungen gebaut und hatten an jedem Wagenende einen Fahrschalter. Da es pro Triebwagen nur eine Kurbel gab, die man mechanisch nur in Nullstellung des Fahrschalters abziehen konnte, waren keine weiteren Sicherheitsvorkehrungen bei Fahrtrichtungswechsel notwendig. Gebremst wurde im Betrieb per elektrischer Widerstands-Bremsung. Die Bremsung bis zum endgültigen Stillstand erfolgte per Handkurbel und Klotzbremse. Die Höchstgeschwindigkeit sollte 20 km/h nicht überschreiten. Der Betrieb erfolgte komplett “auf Sicht".
Anfang der 20er-Jahre wurden die Wagen nach und nach und in Eigenregie mit geschlossenen Plattformen ausgestattet. Da man offensichtlich die Fahrschalter mit ihren langen Kurbeln nicht versetzen wollte, erhielten die Triebwagen an den Stirnseiten einen fünfteiligen Holzvorbau mit geraden Fenstern und Fensterbänken nach Art eines Erkers. Auf den Beiwagen war diese eigentümliche Lösung nicht notwendig, denn sie hatten ja keine Fahrschalter. Auf den Dächern der Triebwagen montierte man jetzt an den Stirnseiten Zielschilder. Sie wurden später durch Kästen mit beleuchteter Anzeige ersetzt. Später diente ein Triebwagen der ersten Lieferserie mit seiner Lackierung in "Verkehrsorange" (RAL 2009) und der ungewöhnlichen Frontverkleidung bis zur endgültigen Einstellung des Straßenbahnbetriebes 1978 als Werkstattwagen.
EndhaltestelleSpiesen

Die Erweiterung des Liniennetzes nach Spiesen erforderte 1927 die Beschaffung weiterer Fahrzeuge. Diese konnten aber jetzt nur noch in Frankreich gekauft werden, da so keine Zölle anfielen. Als Lieferant wählte man für sechs Triebwagen und zwei Beiwagen die Firma CEF (Constructions Électriques de France) aus Lyon. Die elektrische Ausrüstung lieferte Alsthom. Die Wagen waren jetzt natürlich vollständig geschlossen. Die veranschlagten Kosten für dieses Geschäft wurden überschritten. Eine Lokalzeitung kommentierte, dass die Reisen nach Lyon den Neunkircher Verantwortlichen offenbar gut gefallen hätten.
 

Bild links: An der Endhaltestelle Spiesen der Neunkircher Straßenbahn (links im Bild) konnte man über die Straße gehen und in die Saarbrücker Straßenbahn umsteigen (oben rechts), um in die Hauptstadt zu gelangen.
 
Da das Verkehrsaufkommen anstieg, machte man sich an die Beschaffung weiterer, diesmal gebrauchter Fahrzeuge. Fündig wurde man 1937 in Düsseldorf, wo man fünf Triebwagen, die ursprünglich aus Mettmann stammten, erwerben konnte. Sie waren zwar bereits 1908 und 1909 gebaut, aber zwischenzeitlich modernisiert worden. Auffällig ist, dass es in Neunkirchen insgesamt nur fünf Beiwagen gab. Zwei weitere, 1948 gekaufte, aus Metz übernommene waren so marode, dass sie nicht mehr aufgearbeitet und auch nicht eingesetzt wurden.

Bis auf die kriegsbedingten Ausfälle konnte der alte Wagenpark bis 1962 betriebsfähig gehalten werden. 1961 begannen in Neunkirchen moderne Zeiten mit dem Kauf  von sechs Kurz-Gelenktriebwagen bei der Maschinenfabrik Esslingen. Dieser Triebwagentyp erhielt die Bezeichnung GT4N, hierbei steht der Buchstabe N für Normalspur. Für Städte wie Stuttgart, Freiburg und Reutlingen wurden etwa 380 Fahrzeuge des Standardtyps GT4S  gebaut. Nur etwa 30 davon waren für Zweirichtungsbetrieb vorgesehen, und nur die sechs Triebwagen für Neunkirchen hatten Regelspur. Außerdem wurden bei diesen als Besonderheit die jeweils zwei Achsen der beiden Drehgestelle über Kardanwellen angetrieben. Das war der “Allradantrieb für den Hüttenberg“. Zwei Motoren mit je 90 kW waren am Wagenkasten unmittelbar beiderseits des Gelenks eingebaut. Zu den beiden Achsen in den zwei Drehgestellen führte jeweils eine kurze und eine lange Kardanwelle.
Die Motoren lieferte Lahmeyer, die sonstige elektrische Ausrüstung der Triebwagen stammte von Kiepe. Die Motorsteuerung erfolgte klassisch über Kurbelfahrschalter an beiden Stirnseiten. Da sich die Antriebsleistung im Vergleich zu den alten Fahrzeugen mehr als verdoppelt hatte, baute man eine neue Gleichrichteranlage und verstärkte über den bergauf führenden Streckenabschnitten die Fahrleitung mit einem zweiten Fahrdraht.
Besonderen Wert legten die Verkehrsbetriebe auf sichere Bremsen. Diese hatten 18 elektrische Bremsstufen, die auf alle Achsen wirkten. Zusätzlich waren Scheibenbremsen eingebaut. Darüber hinaus gab es noch eine Trommelbremse als Haltestellenbremse, die sowohl von Hand per Ratschenhebel als auch elektromagnetisch betätigt werden konnte. Jedes Drehgestell hatte rechts und links die ab 1960 vorgeschriebene Magnetschienenbremse. Sie wurde unabhängig vom Fahrdraht aus einer Batterie gespeist.

Mit einer Fahrt konnten jetzt 114 Personen stehend und 40 sitzend befördert werden. Hierfür gab es leicht angeformte Einzelsitze, die aus Durofol waren, einem Holzwerkstoff. Sie waren glatt und gut zu reinigen. 1975 wurde der Einmannbetrieb eingeführt. Die Fahrzeuge erhielten dafür außen Druckknöpfe zur Türöffnung und innen Entwerter für die Fahrscheine. In der Stadt wurden Fahrkartenautomaten an zahlreichen Haltestellen montiert.

Ursprünglich war der Einsatz der Gelenktriebwagen bis in die 80er-Jahre hinein geplant. Trotz aller Rationalisierungsbemühungen war der Straßenbahnbetrieb aber aus Kostengründen bald nicht mehr länger zu vertreten. Er wurde deshalb am 10. Juni 1978 eingestellt. Für die Gelenktriebwagen mit ihrer Normalspur konnten trotz aller Bemühungen keine Käufer mehr gefunden werden. Zwei von diesen Wagen kamen ins hannoversche Straßenbahnmuseum. Einer von ihnen überlebte dort, und ein zweiter wurde Mitte der 80er nach Neunkirchen zurückgeholt und auf dem Gelände der NVG als Denkmal aufgebaut.

 

Erinnerungen an 'unsere' Straßenbahn  (von Rainer Freyer)

 

Die Straßenbahn stellte einen wichtigen Teil meiner Kindheit dar. Wir wohnten damals im Zentrum der Stadt, unten am Hüttenberg im Gebäude des Uhrmachers Schley (Hausnummer 4) rechts hinter der Straßenbahn. Wir legten fast alle Wege zu Fuß zurück - besonders in den schwierigen ersten Jahren nach dem Krieg, auch zum Bahnhof und sogar zu den weit entfernt gelegenen Schwimmbädern in der Lakeienschäferei und im Kasbruch (mehr dazu auf unserer Seite Freibäder!). 

 

Obwohl wir sie nur sehr selten selbst benutzten, liebten wir "unsere Straßenbahn", die täglich mehrmals in der Stunde in beiden Richtungen dicht an unserem Haus vorbeifuhr. Und wir waren sogar stolz auf sie, denn wir wussten, dass sie mit dem Hüttenberg die steilste Strecke in ganz Deutschland erklomm, die jemals eine Straßenbahn im Haftreibungs- (oder Adhäsions-) Betrieb, d.h. ohne Zahnräder, geschafft hatte.

(Die steilste Straßenbahnstrecke dieser Art in Europa befindet sich seit 1928 in Lissabon: 13,5% (laut Wikipedia unter "Straßenbahn Lissabon").

 

Die Bahn kam vom Stummdenkmal aus in normalem, also recht flottem Tempo die leicht ansteigende Stummstraße heraufgefahren, und kurz vor unserem Haus schaltete der Fahrer auf eine niedrigere Geschwindigkeit zurück, weil von dort an die Steigung über 11 % beträgt. Und so schlich die Bahn immer ganz gemächlich den Hüttenberg hinauf, so langsam, dass man nebenherlaufen und sogar während der Fahrt ein- und aussteigen konnte; was einige Fahrgäste - unerlaubterweise - manchmal auch taten, denn die alten Wagen hatten noch offene Plattformen. (Fortsetzung des Textes unter den nachfolgenden beiden Bildern!)

 

Diese beiden und die folgenden zwei Fotos zeigen ebenfalls Straßenbahn-Szenen am Hüttenberg. Man erkennt deutlich, welch große Steigung die Bahn hier zu überwinden hatte. Aufgenommen hat diese vier Bilder der bekannte saarländische Pressefotograf Walter Barbian in den 50er-Jahren.  Fotos: Walter Barbian (http://www.saarlandarchiv-walter-barbian.eu)

 

Warum aber drosselte der Straßenbahnführer bei Bergauffahrt etwa vor unserem Haus regelmäßig die Geschwindigkeit? Anfangs dachte ich immer, der Berg sei so steil, dass der Fahrmotor der Bahn nicht stark genug war, um sie in normalem Tempo den Berg hinauf zu bewegen.

 

Irgendwann einmal wurde ich jedoch eines Besseren belehrt: An diesem Tag herrschte Glatteis, die Fahrbahn und auch die Schienen waren spiegelglatt. Kein Auto fuhr mehr den Hüttenberg hinauf oder hinunter.

Ich stand an unserem Wohnzimmerfenster und beobachtete, wie eine Bahn in normalem Tempo die Stummstraße heraufkam. Und dann geschah etwas Unerwartetes: Zu meinem großen Erstaunen schaltete der Fahrer vor unserem Haus nicht wie üblich auf Langsamfahrt um, sondern "raste" den Hüttenberg mit unverminderter Geschwindigkeit hoch - so kam es mir jedenfalls vor - und die Bahn verschwand sehr schnell aus meinem Blickfeld. Ich war unheimlich beeindruckt, denn noch nie hatte ich unsere Straßenbahn so in voller Fahrt den Berg hinauffahren gesehen.

 

Aber offensichtlich kam sie auf diese Weise trotz des Glatteises tatsächlich ohne Probleme bis zur Haltestelle Marienstraße. Es ging also doch! Aber danach habe ich nie wieder etwas Ähnliches beobachtet.

Ein älterer Freund, der damals bei der Straßenbahn gearbeitet hatte, erklärte mir viele Jahre später, dass die Bahn am steilen Berg nur deshalb immer langsamer fahren musste, weil sonst die elektrische Spannung im Fahrdraht durch die hohe Stromentnahme so stark abgefallen wäre, dass die anderen Bahnen im Liniennnetz an Geschwindigkeit verloren hätten. Er vermutete, an jenem Tag habe der Fahrer seine Powerfahrt wohl vorher im Straßenbahndepot angekündigt, damit sich die Kollegen dort nicht über den plötzlichen Spannungsabfall im Netz gewundert und den Strom möglicherweise ganz abgeschaltet hätten (Erläuterungen dazu im nachfolgenden Text!)

 

Zu der obigen Geschichte schrieb uns kurz nach ihrer Veröffentlichung ein sachkundiger Zeitgenosse von damals:

 

"Ich bin selbst als 'Fahrschüler' von 1951 bis 1953 werktäglich mit der Straßenbahn von Heinitz zum Knabenrealgymnasium Neunkirchen (also Richtung Steinwald) gefahren. Dabei musste ich immer am Stumm- Denkmal in die Linie über den Hüttenberg umsteigen. Meistens aber fuhr ich um 7.10 Uhr ab Heinitz mit dem E-Wagen für Schüler, der ohne Umsteigen zum Oberen Markt und weiter zum Steinwald fuhr. Als Schüler versuchte ich immer, auf der vorderen Plattform beim Fahrer zu stehen, aber da wurde ich meist vom Schaffner ins Wageninnere verscheucht.

 

Damals habe ich die Technik natürlich noch nicht verstanden, aber als ich später an der TH Karlsruhe Elektrotechnik studierte, wurde mir klar, warum der Fahrer beim Langsamwerden am steilen Bergstück die Kurbel kurz zuerst auf Null drehte, und dann wieder auf halbe Fahrt. Daher weiß ich heute, dass es praktisch unmöglich ist, dass sich eine superschnelle Bergfahrt - und mit der gegebenen Begründung - so zugetragen hat, wie Sie sie in Ihrem Bericht beschreiben; da muss Ihnen Ihre Erinnerung einen Streich gespielt haben!

 

Technischer Hintergrund: Die damaligen Straßenbahnen hatten zwei Fahrmotoren, die entweder, je nach Stellung der Fahrkurbel, in Parallel- oder in Serienschaltung betrieben wurden. Die Parallelschaltung war die Schaltung für schnelle Fahrt. Wurden die Motoren bei Bergauffahrt dann aber wegen der Steigung langsamer, so stieg dadurch der Strom in den Motoren an, mit der Folge, dass sie (zu) heiß wurden und möglicherweise sogar durchbrennen konnten. Deshalb (und vielleicht auch, um die Spannung im Netz nicht zu sehr zu belasten) wurde der Motorstrom durch einen Überstromschalter begrenzt. Wenn der Fahrer unten am Hüttenberg beim Langsamerwerden nicht rechtzeitig mit seinem Fahrschalter von Parallel- auf Serienschaltung umschaltete, dann löste dieser Schalter mit einem Donnerschlag aus, und der Wagen blieb erst mal stehen (bzw. rollte sogar einige Meter rückwärts, bis der Fahrer kurbelnd die Handbremse fest genug angezogen hatte); das passierte gelegentlich schon. Das gleiche geschah übrigens auch auf der Strecke von Heinitz nach Nieder-Neunkirchen, die nicht ganz so steil war, aber die Bahn hatte auf dieser Linie 3 von Spiesen zum Schlachthof auch noch einen Anhänger. Stand die Bahn erst mal wegen ausgelöster Sicherung am Berg, dann war das Anfahren ein Geduldspiel, oft sprang die Sicherung auch in der strombegrenzenden Serienschaltung der Motoren beim Anfahren wieder heraus. - Übrigens: Der Glätte der Schienen, schon bei Regen ein Problem, wurde einigermaßen erfolgreich entgegengewirkt, indem der Fahrer seinen Sandstreuer betätigte."

 

Trotz dieser einleuchtenden Erläuterungen glaube ich immer noch, dass mein "Erlebnis", welches mich damals als Jugendlichen so stark beeindruckt hatte, kein Traum und keine Einbildung, sondern Wirklichkeit war. Mal sehen, ob andere Fachleute vielleicht noch etwas zu diesem Thema sagen können. Ein Bekannter, der sich in der Technik der Straßenbahnen gut auskennt, meinte, eine solch schnelle Fahrt könnte vielleicht tatsächlich stattgefunden haben, und zwar dann, wenn die Bahn praktisch leer gewesen wäre. Ich denke, dass dies bei dem Glatteis-Wetter an jenem kalten Winterabend wohl sicher der Fall war...


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Folgendes interessante Detail berichtet ein ehemaliger Neunkircher Straßenbahner über weitere Probleme am steilen Hüttenberg:

 

Die Straßenbahnführer hatten für Tage mit heftigem Glatteis oder Schnee die Anweisung, bei der ersten Fahrt frühmorgens am Stummdenkmal mit der Bahn über eine Weiche die Straßenseite zu wechseln und den Hüttenberg auf dem in Fahrtrichtung linken Gleis hinaufzufahren. Dabei sollten sie ständig den Sandstreuer betätigen. Die Gefahr, dabei mit einer bergabfahrenden Bahn zusammenzu- stoßen, bestand ja nicht, weil es an diesem Tag die erste Bahn auf der Strecke war. Aber mit dem prophylaktisch ausgestreuten Sand sollte der Glätte auf den Schienen entgegengewirkt werden, damit der Wagen, wenn er später vom Steinwald zurückkam, den Hüttenberg sicher und ohne Bremsprobleme wieder hinunterfahren konnte, und vor allem auch die danach dort verkehrenden Wagen.

 

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13. August 1959: Straßenbahnunglück in Neunkirchen mit zwei Toten und zehn Verletzten

 

Auf der steilen Hüttenbergstraße, die eine Steigung von elf  Prozent aufweist, musste der Fahrer eines bergaufwärts fahrenden Straßenbahn- wagens kurz vor der Haltestelle Marienkirche hinter einem liegen gebliebenen Auto anhalten. Gegen alle Dienstvorschriften ließ er die Straßenbahn ein Stück rückwärts rollen, um den PKW zur Räumung der Gleise in eine Seitenstraße einbiegen zu lassen. Es gelang dem Straßenbahnfahrer anschließend aber nicht mehr, den Triebwagen wieder anzuhalten. Dieser rollte stattdessen mit zunehmender Geschwindigkeit rückwärts den Berg hinab. Weder Fahrer noch Schaffner konnten ihn abbremsen. Mit voller Wucht prallte er in der Stummstraße gegen einen städtischen bergaufwärts fahrenden Omnibus, der ins Schaufenster des Möbelgeschäftes Rebejautzki geschleudert wurde. Die Straßenbahn kam erst ganz unten am Stummplatz zum Stehen. Die beiden getöteten Menschen, ein Bergmann und eine Hausfrau, hatten vor dem Fenster des Möbelgeschäftes gestanden. Die zwei schwer und weitere acht leicht Verletzte waren Fahrgäste der Straßenbahn und des Omnibusses.

 

Selbst das bundesdeutsche "Abendblatt" berichtete (am 14. August 1959) von diesem Unfall.

 

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Kinderbelustigung  auf Straßenbahnschienen:

 

Manchmal hatten wir Kinder einen Heidenspaß, wenn wir eine 1-, 2- oder 5-Franken-Münze - sie waren aus Aluminium [1] auf die Schienen legten, kurz bevor eine Straßenbahn die Stelle passierte. Und wie stolz waren wir dann mit unserer total platt gewalzten Münze, die nun eine ovale Form hatte, hauchdünn und fast doppelt so groß wie vorher!  Allerdings durften wir uns das nur ganz selten erlauben, denn wir konnten es uns eigentlich nicht leisten, Geldstücke zum Spaß zu "entwerten"! Ein bis fünf Franken, das war damals für uns schon etwas wert!  Ich erinnere mich daran, dass unsere ganze Familie überglücklich war, als mein Bruder Klaus einmal die unglaubliche Summe von fünfhundert Franken auf der Straße gefunden und nach Hause gebracht hatte. Umgerechnet wären das derzeit zwar nur etwa zwei Euro, aber man konnte damals natürlich viel mehr damit kaufen als heute.


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[1] mehr darüber: siehe auf unserer Seite Saar-Franken-Münzen! - Infos zu den Geldwährungen im Saarstaat und zu den Frankenmünzen finden Sie auf unerer Seite Saar-Geld unter A 3).

 


 

Hinweis: Von 1961 bis 1978 verkehrten auf den Strecken der Neunkircher Straßenbahn die neuen GT 4N-Triebwagen, die in der Maschinenfabrik Esslingen hergestellt worden waren.

 

Zu einem ausrangierten Gelenktriebwagen (er trug die Nr. 6) berichtete uns M. Schmidt aus Wemmetsweiler am 28.4.2018 :

"Ich erinnere mich, dass vor vielen Jahren der Wirt des Gasthauses Zur Karre in Wemmetsweiler, Herr Günter Appel, einen (ausrangierten) Kurzgelenktriebwagen der Neunkircher Straßenbahn gekauft hat. Ich war dabei, als er mit Tieflader und im Schneckentempo nach Wemmetsweiler gebracht und hinter dem Gasthaus mit Schwerlastkränen abgesetzt wurde. Da konnte man drin sitzen und sein Bierchen trinken. Die Kneipe gibt es schon lange nicht mehr. Der Straßenbahnwagen wurde irgendwann verschrottet."

 

Im "Hannoverschen Straßenbahn-Museum" befindet sich bis heute der wiederaufgearbeitete Triebwagen Nr. 2 der Neunkircher Straßenbahn - siehe auf der Seite http://www.tram-museum.de/besucher/strassenbahnen/ - dort fast ganz unten

 


 

Omnibusse der Neunkircher Straßenbahn AG aus den frühen 60er-Jahren finden Sie auf unserer Seite Omnibusse 1.

Auf einigen dieser Bilder sieht man auch die Gleise der Straßenbahn.

 

 

 

Alle unsere Seiten zum Thema Straßenbahn:

 

 

 

 

 

 

 

 

> Straßenbahnen 1:  Allgemeine Einführung

 

> Straßenbahnen 2:  Saarbrücker Straßenbahn

 

> Straßenbahnen 3:  Neunkircher Straßenbahn   (diese Seite)

 

> Straßenbahnen 4:  Völklinger Straßenbahn

 

> Straßenbahnen 5:  Straßenbahn Saarlouis

 


 

Weitere Fahrzeuge aller Art finden Sie auf folgenden Seiten:

 

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Diese Seite wurde begonnen am 9.9.2009 und zuletzt bearbeitet am 14.12.2020 b

 

 

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